Brief über die Folgen der Luftangriffe in Berlin nach Schneflingen bei Wittingen (18. März 1943)

Auf Berlin gingen während des Zweiten Weltkrieges mehr Bomben nieder als auf jede andere deutsche Stadt. Das erste Mal wurde Berlin in der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 1940 von französischen Marinefliegern als Vergeltungsaktion angegriffen. Zahlreiche weitere Angriffe folgten dann bis Anfang 1943. Am dem 16. Januar 1943 bombardierte die britische Royal Air Force Berlin erneut und bis zum 30. März 1943 wurden u.a. weite Teil des Bezirks Tempelhof, die Deutschlandhalle, die St. Hedwigs-Kathedrale sowie das Deutsche Opernhaus getroffen. Bei diesen Angriffen entstanden über 600 größere Brände und Schäden an mehr als 20.000 Häusern. Es wurden ganze Stadtteile zerstört und mehrere hundert Menschen starben. Während dieser Zeit der intensiven Luftangriffe wurde der unten stehende Brief von Berlin nach Schneflingen geschickt.

Am 18. März 1943 verfassten Wilhelm, Elisabeth und Kläuschen einen Brief nach Schneflingen bei Wittingen. Darin schildern die Verfasser die Bombenangriffe sowie die Folgen sehr deutlich.

Wer genau die Empfänger waren und wo sie in Berlin wohnten, lässt sich nicht mehr klären. Der dazugehörige Briefumschlag mit Absendernamen und Adresse ist nicht mehr erhalten. Gefunden wurde dieser Brief auf der Haushaltsauflösung des Hofes Wolf/Paelecke in dem kleinen Dorf Schneflingen südlich von Wittingen. 

Berlin, d. 18.III.43.

Ihr Lieben alle!

Da Ihr mich und unseren kl. Liebling noch nicht kennt und auch in dieser ernsten Zeit keine Meinung habt uns zu besuchen, wollen wir uns doch wenigstens im Bild mal vorstellen. Der Kleine ist jetzt recht drollig, ein richtiger kl. Wildfang. So ganz wie ein Junge sein muß und so wie ich ihn mir immer gewünscht habe. Aber trotzdem ist er sehr artig dabei, verwöhnt habe ich ihn nicht. Bei diesem schönen Wetter ist er von 12-7 Uhr draußen. Weinen tut er selten, er wie genau, daß er nichts damit erziehlt. Ein Kindchen bringt dich unendlich viel Freude. Vor 4 Wochen war Rieckchen 3 Tage hier. Sie kann froh sein, daß sie den Angriff hier nicht miterlebt hat. Der war zu furchtbar. Mir steckt der Schreck noch in den Gliedern. Beim geringsten Geräusch zucke ich zusammen und denke es ist Allarm. Das letzte mal wird es auch nicht gewesen sein. Es waren nachdem schon wieder Aufklärer hier und warfen am hellen Tage Bomben. Also müßen wir auf alles gefaßt sein. Wenn es Abend wird, ist einem schon angst und bange und vorher war ich immer so gleichgültig und war immer froh wenn Wilhelm nichts sagte, daß wir in den Keller wollten. Und jetzt zittere ich an allen Gliedern, wenn die Sirene geht. Es war aber auch zu furchtbar. Beschreiben kann ich es gar nicht. Um uns herum sieht es böse aus. Wir sind wie durch ein Wunder verschont geblieben. Sonst immer und Außenfenster alle zertrümmert. Aber wir haben doch unser Heim noch. 56000 haben es nicht mehr. Davon fallen auf Steglitz allein 20000 Obdachlose. Wir sollten auch welche aufnehmen. Als man sich jedoch überzeugt hatte, das alle Fenster raus waren, nahm man Abstand. Sonst hätten wir es gern getan, denn die armen Menschen tun einem so leid, wenn sie vor einem Nichts stehen. Und wer weiß ob es nicht uns das nächste Mal trifft. Wir haben im Keller gesessen und sahen den Todt nur jeden Augenblick vor Augen. Wir hörten wie die Bomben einschlugen und dazu das Geballter der schweren Flack. Es hat auch Niemand geglaubt, daß wir das Tageslicht wieder erblickten. In unserem Hinterhaus ist eine Wand eingestürzt. Als der Kellerfenster zerschlug und Staub und Mörtel hereinflogen war es bei den meisten mit der Fassung aus. Einer sah dem Andern entsetzt an und Jeder hatte nur ein Gebet auf den Lippen.

Und als wir denn raus kamen, nein dieser Anblick war zu schrecklich. Ich werde es in meinem ganzen Leben nicht vergessen. Als ob die Hölle los wär. Wo man auch hinsah überall Schutt und Scherben. Feuer an allen Ecken und Enden und dazu der fürchterliche Sturm. Es war ein entsetzliches Chaos, und hatte den Anschein als ob ganz Berlin in Flammen aufgehen sollte. Die Feuerwehr war jedenfalls nicht wo sie hin sollte. In unser ganzen Umgebung war jedenfalls keine. Uns schräg gegenüber und hinter uns brannte fast die ganze Straße aus. Von oben bis zum Erdgeschoß. Die Menschen hatten Last wenigstens die noch nicht brennenden Häuser zu schützen. In unserer Wohnung sind die Decken gerißen und ein Türschloß rausgerißen. Der Wind heulte nur so durch die Wohnung. Ich war die Nacht und am andern Tag mit dem Kleinen bei den Leuten unter uns. Die hatten wenigsten im Wohnzimmer heile Fenster.  Alle Fenster wurden mit Pappe vernagelt. Wer weiß wenn sie noch gemacht werden. Die Glaser sind ja schon aus aller Welt eingesetzt. Aber es ist ja auch unendlich viel kaputt. Zu beiden Seiten der Straße lag ein Wall von Scherben. Am nächsten Tag waren wir wie von aller Welt abgeschlossen. Es kam keine Post und keine Zeitung, ging kein Telefon, fuhr keine S- und Straßenbahn. Die Feuerwehr rasselte andauernd, Sicherheits- und Hilfsdienst, Rettungswagen und Volksgenossen mit ihrem letzten Hab und Gut auf Wagen, Karren oder im Bündel belebten das Straßenbild. Überall vergrämte Gesichter. Diese eine Nacht hat die Menschen um vieles ernster gemacht. Wie hoch die Zahl der Opfer ist wird gar nicht bekannt gegeben. In der ersten Woche waren es 486 Tote und 377 Schwerverletzte. An manchen Stellen arbeiteten Bagger um Verschüttete zu bergen. Aus einem Keller wurden 45 Leichen geborgen; Sie sollen sich in ihrer Todesangst alle aneinander geklammert haben. 40 Soldaten, welche Aufräumungsarbeiten machten, wurden von einem einstürzenden Haus verschüttet und zerschmettert. Auf einem Friedhof in unserer Nähe wurden an einem Tag 100 beerdigt. 2 Tage nach dem Angriff brach in unserer Nebenstraße nochmal Feuer aus, Phosfor war trocken geworden und hatte sich wieder entzündet. Es ist nur gut, daß das Wetter jetzt so schön ist, sonst würde der Schaden immer noch größer. Als es natürlich regnete kam es bei uns auch schon durch. Ich wüßte noch vieles mehr, kann es aber nicht alles auf Papier bringen.

In der Hoffnung daß es Euch allen gut geht grüßen Euch Wilhelm, Elisabeth u. Kläuschen.

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Adolf Blanke – gefallen am 13. Oktober 1916 bei St. Mihiel

Adolf Blanke wurde am 7. Mai 1894 geboren. Sein Zwillingsbruder war Rudolf (1894-1963). Sie waren Söhne des Fabrikbesitzers Diedrich Blanke (1848-1929)und dessen Ehefrau Luise, geb. Käseberg (1856-1898). Diedrich Blankes  Kriegstagebuch von 1870/71 ist hier zu lesen. 

Sein jüngerer Bruder Werner Blanke (1896-1991) schreibt in seinen Erinnerungen über seinen Bruder Adolf:

Der Erste, der aus dem Leben scheiden musste, war Adolf. Er war der Zwillingsbruder von Rudolf. Beide wurden am 7. Mai 1894 in Ahlden geboren. […] Sie waren unzertrennlich, obgleich sie sehr unterschiedlich waren. Rudolf war klein und hatte fast schwarze Augen, Adolf war groß und blauäugig. Beide hatten weißblonde Haare. Rudolf war das schwarze Schaf der Familie. Adolf war ein sehr artiges, folgsames Kind, das keinen Streit leiden konnte. […]

Rudolfs Zwillingsbruder Adolf hat nur ein sehr kurzes Dasein erlebt. Auf der Schule war er ein Musterschüler, gewissenhaft, fleißig und ausdauernd. Nach der Konfirmation ging er mit Rudolf nach Verden und zwar in eine Weingroßhandlung. Man hätte ihn nach den Lehrjahren gern dort behalten, aber dann wäre er allein in Verden gewesen. Vater war bereits in Berlin, Rudolf zog nach Frankfurt. Deswegen nahm Adolf Stellung bei den Hackethal-Kabelwerken in Hannover, wo er an Robert und Hedwig verwandtschaftlichen Halt fand. […]

Adolf war mein Lieblingsbruder. In den Ferien waren wir oft zusammen. Hatte er frei, so wanderten wir.

Adolf lernte den kaufmännischen Beruf in einer Weingroßhandlung Verdens. Nachdem er ausgelernt hatte, ließ man ihn nur ungern nach Hannover ziehen, wo er in den Hackethalwerken sich bald eine Vertrauensstellung erwarb. Sein Aufstieg wurde durch den frühen Tod als Kriegsfreiwilliger verhindert. […]

Dann brach der (erste) Weltkrieg aus. Adolf und ich traten als Kriegsfreiwillige in das Heer, Adolf wurde als Telefonist ausgebildet. Er trug als Soldat eine Rolle Draht auf dem Rücken, die sich beim Gehen abrollte. Ein anderer Soldat hängte den Draht seitwärts an Gebüsch usw. auf. Bei dieser Tätigkeit blieb er meistens in der zweiten Linie, die nur durch Artillerie beschossen wurde. Nur da, wo der inzwischen eingetretene Stellungskrieg in Angriffskrieg sich wandelte, war Adolf allen Waffen ausgesetzt.

Für mich war schon der Krieg vorbei. Zum 2. Male verwundet, war ich als dienstunfähig entlassen und war schon Lehrer in Hankensbüttel, als ich die mir unbegreifliche Nachricht bekam, dass Adolf am 19. Oktober 1916 in der Nähe von St. Mihiel bei Verdun gefallen sei. […]

Er hatte das fürchterlichste Trommelfeuer in der Champagne hinter sich. Sie lagen bei St. Mihiel „in Ruhe“. Da wurde er zur Schreibstube gerufen und bekam einen Urlaubsschein. Er telegrafierte die freudige Nachricht an Vater in Berlin. Sein Zug aber fuhr erst am nächsten Morgen. So ging Adolf mit anderen Urlaubern in einen Unterstand. Sie sangen, lachten, scherzten und freuten sich auf morgen. Im Tagesanbruch eilten sie zur Bahn. Zwei Wege führten zum Ziel, ein weiter, sicherer und ein kurzer, gefahrvoller und deswegen verbotener Weg. Er wurde vom Feind immer wieder heftig beschossen. Trotzdem wählten die Urlauber diesen. Schon waren sie fast aus der Gefahrzone, da schlug eine Granate zwischen sie. Adolf trug ein schwarz-rot-goldenes 10 cm breites Band in der Brusttasche, das ihm ein böhmischer Offizier bei Kriegsausbruch in Aussig geschenkt hatte. Ich habe es zurückbekommen. Es war zusammengefaltet 1 dm² groß. Darin sind allein 4 Einschläge von Granatsplittern. In einem mir zurückgesandten Bilde zähle ich sogar 9 Einschüsse. Ein Bild, das ihn zeigt, hat zwar nur 3 Treffer, aber einer ist 16 cm² groß. Eine Skizze zeigt die Stelle, wo er verblutete.

Adolf Blanke Telegraphist bei der Fernsprechabteilung des 18. Armeekorps (Fernsprechabteilung 18). Gefallen ist er am 13. Oktober 1916 während Kämpfe auf den Maashöhen bei St. Mihiel, an denen das 18. Armeekorps vom 09.10.1916 bis 12.11.1916 teilnahm. 

Karte aus der Brusttasche von Adolf Blanke. Die Schäden durch den Granattreffer sind deutlich zu erkennen. Adolf Blanke steht links hinter dem Schild in feldgrauer Uniform. Die Aufnahme entstand im Festungslazarett Germersheim (1915).
Skizze des Ortes, wo Adolf Blanke am 13. Oktober 1916 gefallen ist. Das rote Kreuz rechts markiert den genauen Ort östlich von St. Mihiel.
Skizze der Lage des Grabes auf dem deutschen Soldatenfriedhof in St. Mihiel
Das ursprüngliches Grab auf dem deutschen Soldatenfriedhof in St. Mihiel

Deutscher Soldatenfriedhof St. Mihiel

Der in St. Mihiel in der heutigen Rue de la Porte à Metz gelegene deutsche Soldatenfriedhof wurde in den 1920er Jahren aufgelöst und die 600 bis 700 Gefallenen – die Angaben widersprechen sich –  wurden auf die Kriegsgräberstätte Troyon und die Kriegsgräberstätte St. Mihiel im Gobessart-Wald umgebettet.

Noch heute ist die Einfriedungsmauer des ehemaligen Friedhofs St. Mihiel vollständig erhalten. Gut zu erkennen ist hier noch der ehemalige Eingang zum Friedhof, in dessen Nähe die Gräber von Adolf Blanke und Franz Burg lagen.

Im Hintergrund auf dem Foto der beiden Gräber ist das Haus Rue de la Porte à Metz 20 zu sehen. Das Aussehen des Hauses heute sieht dem auf dem Foto des ursprünglichen Grabes äußerst ähnlich und die Lage stimmt mit der obigen Skizze überein. Gegenüber dem Haus befand sich der Eingang zum Soldatenfriedhof – heute Rue Porte à Metz 27. 

In den Namenslisten der Kriegsgräberstätte Troyon findet sich der Name Adolf Blanke nicht, dafür aber ein Andreas Blanke mit gleichem Sterbedatum wie Adolf Blanke. Vermutlich handelt es sich dabei um Adolf Blanke. Vielleicht war der Name bei der Umbettung nicht mehr genau zu entziffern und aus dem eigentlichen Namen Adolf wurde dann fälschlicherweise Andreas.

Foto eines deutschen Fotografen des Soldatenfriedhofs St. Mihiel (vor Kriegsende 1918). Rot markiert ist die mutmaßliche Lage der Gräber von Adolf Blanke und Franz Burg. Die Friedhofsmauer ist heute noch fast vollständig erhalten.

Feldpost von Adolf Blanke an seine Schwester Hedwig, seine Schwager Albert und seine Nichte Ruth Velten

Insgesamt sind sieben Feldpostkarten und -briefe vollständig erhalten sowie ein Fragment, bei dem mindestens die erste Seite fehlt. Die sieben vollständigen Dokumente werden hier im Wortlaut wiedergegeben:

Undatiert

Meine liebe süsse Maus!

Sei Deinem Onkel bitte nicht böse, dass er Dir zu Deinem Geburtstag nicht geschrieben hat. Ich hatte es tatsächlich vergessen, wie ich Vater 4 Wochen zu früh schrieb. Wenn meine Glückwünsche auch verspätet kommen, so sind sie aber noch eben so herzlich gemeint. Anbei meine Aufnahme aus dem Schützengraben, wirst Du mich erkennen.

Für heute recht herzliche Grüsse

Dein Onkel Adolf 

Undatierte Feldpostkarte mit Foto von Adolf Blanke an seine Nichte Ruth Velten

31. März 1915

Meiner süssen Maus herzliche Grüsse. Dieses ist eine Aufnahme aus unserer Ruhezeit, ich kam s. Zt. fort und bekomme daher erst jetzt die Aufnahme. Die mit x beschrieben sind meine Kameraden, mit denen ich jetzt immer zusammen bin. Herzlichste Grüsse Onkel Adolf

Feldpostkarte vom 31. März 1915 an seine Nichte Ruth Velten
Bearbeitetes Gruppenfoto - Das Kreuz ganz rechts markiert Adolf Blanke

1. April 1915

Meine lieben Hannoveraner,

habt recht herzlichen Dank für Eu[e]r liebes Päckchen, habe auch über alles sehr gefreut. Auch für Deinen lieben Brief, liebe Tille, danke ich Dir herzlichst. Weshalb ich nicht schrieb und wo ich ste[c]kte, kann ich Euch leider nicht schreiben, hier ist für uns Briefsperre, es können nur Karten geschrieben werden, die dann vom Kommandeur durchgelesen und gestempelt werden. Vielleicht kann ich Euch später ja mal darüber ausführlicher schreiben. Es wird Euch ja vorläufig genügen, wenn ich Euch schreibe, dass es mir noch immer vorzüglich geht. Die Briefsperre hat seine strategischen Gründe, und ich weiss nicht, wie lange sie noch dauert. Ihr könnt nun aber Briefe weiter schreiben. Ich habe innerhalb 14 Tagen bis 3 Wochen knapp 3 Briefe im Ganzen bekommen. Da kannst Du Dir denken, liebe Tille, worüber ich mich gefreut habe, als Dein Brief ankam. Ich hoffe, dass es Euch allen auch sehr gut geht und wünsche Euch allen recht fröhliches Osterfest.

Euer Adolf

13. Mai 1915

Roye, den 13. Mai 15.

Liebe Hete!

Ich habe in meinem Briefe vergessen, zu fragen, wozu der Zettel von der Sparkasse der Kapital: Versich. Anstalt, den Ihr mir in einem Brief gesandt habt, sein soll? Muss der evtl. ausgefüllt werden?

Recht herzlichen Gruss

Dein Adolf

14. Mai 1915

Roye, den 14. Mai 1915.

Mein lieber Albert!

Dein l. Paket mit Zigarren habe ich bekommen und mich riesig darüber gefreut. Hab herzlichen Dank. Meinen Brief habt Ihr wohl schon bekommen? Mir geht es gut.

Euch allen recht herzl. Grüsse von Eurem Adolf.

18. Juni 1915

Winterlager, den 18.6.15.

Mein lieber Albert!

Habe herzlichen Dank für Deine Pastillen gegen den Durst, habe mich sehr darüber gefreut. In den nächsten Tagen schreibe ich mal wieder ausführlicher. Ist Werner schon in Hannover angekommen? Mir geht es noch immer gut. Gestern haben wir schwer Feuer gekriegt.

Allen herzliche Grüsse, besonders Dir Dein Adolf.

25. Oktober 1915

Poststempel 25.10.15. 1-2N Kais. Feldpost-Station Nr. 45 C

Liebe Hete und lieber Albert!

Nehmt es mir bitte nicht übel, dass ich Euren Hochzeitstag ganz vergessen hatte, aber trotzdem sind meine Glückwünsche noch eben so herzlich gemeint. Das wäre mal wieder solch eine schöne Gelegenheit gewesen, sich bei Euch mal durchzufüttern, da ist mir mal wieder etwas aus der Nase gegangen. Dass Mausi so krank war, tat mir aber leid, die lüttje Süsse, nur gut, dass sie wieder besser ist. Mir geht es noch immer, wie ich besser garnicht verlangen kann. Seid für heute recht herzlich gegrüsst

Von Eurem Adolf.

Feldpost im Andenken an Adolf Blanke

Zwei Feldpostbriefe sind im Andenken an Adolf Blanke überliefert. Über die beiden Verfasser liegen keine weiteren Informationen vor.

Brief an Albert Velten (Schwager von Adolf Blanke) von Sergeant Lömcker vom 26. Dezember 1916

Sehr geehrter Herr Velten!

Aus Ihren Zeilen v. 8.12. habe ich ersehen, daß mein Brief u. die Aufnahme des Grabes in Ihrem Besitz sind. Es ist mir eine große Freude, daß meine Zeilen Ihnen wenn auch nur kleiner Trost waren. Wie sehr haben auch wir unseren lieben Blanke besonders jetzt in den Weihnachtstagen vermißt. Er war ja auch jedem ans Herz gewachsen. Am heilig Abend haben wir seiner besonders gedacht und Ihren, mir übersandten guten Wein getrunken, wofür ich im Namen aller vielmals danke. Auch für Ihre l. Zeilen Ihnen sehr dankbar gestatte ich mir, Ihnen ein fröhl. u. zufriedenes Neujahr zu wünschen. Mit deutschem Gruß Ihr ergebener Fz. Lömcker.

Brief von Karl Röttjer an Hedwig Velten (Adolf Blankes Schwester) vom 25. Juni 1918

Liebe Hedwig!

Hoffentlich ist die Zeichnung gut wieder in Deine Hände gelangt und Du hast gesehen, daß ich Adolf´s Grab gefunden habe. Nun habe ich ihm gestern für die mir gesandten 5 M, einen sehr schönen Kranz aufs Grab gelegt und hoffe, so bald die Comp. wieder aus Stellung kommt, daß unser [unleserliches Wort], wenn er Farbe bekennt, nun die Schrift erneuert. Mit den besten Grüßen für Dich und Deine lieben Angehörigen Dein Karl Röttjer.

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Mitteilung über den Tod des Unteroffiziers Gustav Ermert vom 3. November 1944 (Panzergrenadier Regiment 5)

In einem Brief vom 3. November 1944 wurde Karl Ermert aus Kirchen/Sieg der Tod seines Sohnes Gustav Ermert mitgeteilt. Dem Schreiben nach ist Gustav Ermert am 29. Oktober 1944 bei Abwehrkämpfen bei Augt in Kurland, dem heutigen Lettland, durch Granatsplitter gefallen. 

Laut der Seite des Volksbundes ist er bei Mugt gefallen. Sein Grab befindet sich heute auf der Kriegsgräberstätte Saldus (Frauenburg) – Block D Reihe 27 Grab 840. 

Den genauen Ort seines Todes konnte ich bisher nicht verifizieren.

Die Feldpostnummer 24680 B, unter der die Todesmitteilung abgeschickt wurde, gehört zur 5. Kompanie des Panzergrenadier Regiments 5. Dieses war im Jahr 1944 der 12. Panzer-Division unterstellt, welche 1944 bei der Heeresgruppe Nord eingesetzt war. Aus Geheimhaltungsgründen wurde nur die Feldpostnummer angegeben, aber nicht die genaue Einheit.

In der Kesselschlacht von Kurland wurde die deutsche Heeresgruppe Nord ab Oktober 1944 eingeschlossen. In der Zweite Kurlandschlacht am 27. Oktober 1944 traten sowjetische Divisionen gegen die deutschen Stellungen an. Die sowjetischen Truppen konnten zwar mehrere Einbrüche in die deutschen Linien erzielen, aber der herangeführten deutschen Reserve gelang es, zahlreiche Panzer abzuschießen, allerdings zum Preis hoher eigener Verluste. Das X. Armeekorps verzeichnete fast 50% Ausfälle. Die Heeresgruppe Nord verlor über 68.000 Mann an Gefallenen und Verwundeten.

Gustav Ermert war einer der Gefallenen dieser Zweiten Kurlandschlacht. 

Der Briefumschlag mit der Todesmitteilung trägt den Feldpoststempel mit Datum vom 16.12.44. Der Brief mit der Todesmitteilung datiert auf den 3.11.1944.
Originalbrief der Todesmitteilung
Beglaubigte Abschrift vom 14. Mai 1946.
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Briefe von Richard Grimm an seine Frau Thekla (Hamburg 1940)

Richard Grimm war in der zweiten Hälfte des Jahres 1940 beim SHD (Sicherheits- und Hilfsdienst) in Hamburg tätig. Der SHD war ein Aufgabenbereich des Luftschutzes, der im Deutschen Reich für den Einsatz nach Luftangriffen ab 1939/40 aufgebaut wurde. Das Aufgabenspektrum umfasste neben der Brandbekämpfung auch sanitätsdienstliche und technische Hilfeleistungen sowie Entgiftungseinsätze. Der SHD lag im Verantwortungsbereich der Polizei. Die Angehörigen des SHD waren vom Wehrdienst befreit. Im „Forum der Wehrmacht“ wird in einem Beitrag angemerkt, dass es den Angehörigen des SHD nicht erlaubt war, einer zusätzlichen Beschäftigung nachzugehen. Allerdings arbeitete Richard Grimm auch während seines SHD-Dienstes weiterhin für die Firma H. Landmann & Söhne.

Richard Grimm war verheiratet mit Thekla und sie hatten drei Kinder: Margret, Klaus und Werner. Im Sommer 1940 ist Thekla mit den Kindern zu seiner Mutter umgezogen, wie er in seinem Brief vom 13. Oktober 1940 erwähnt. Ein Briefumschlag mit Stempel vom 16.10.40 ist adressiert an Thekla Grimm, Hamburg Volksdorf, Wiesenhöfen No. 3 bei Reuter. Dies war vermutlich die Adresse seiner Familie. 

Als Absender ist SHD: R. Grimm, Hbg.-Wandsbek, Bleicherstrasse 59, Goetheschule angegeben. Dort war er also beim SHD tätig. Später war er auch in der Feldstraße eingesetzt.

An der Adresse Bleicherstraße 59 in Wandsbek war von 1922 bis Ostern 1940 die Freie Goethe-Schule aktiv. Dies war eine Waldorfschule, die ihren Betrieb Ostern 1940 durch den Druck des NS-Regimes einstellen musste. Alle Lehrkräfte wurden zum Hilfsdienst im Haupternährungsamt einberufen, so dass eine Fortführung des Schulbetriebes unmöglich war.

Das Schulgebäude stand somit zur Verfügung und wurde dann spätestens ab Sommer 1940 vom SHD genutzt.

Neben seinem Dienst beim SHD war Richard Grimm auch noch für die Firma H. Landmann & Söhne tätig. Dies war eine im Jahr 1938 arisierte Firma, die mit Hopfen handelte. Der Firmensitz war in Fürth, eine Außenstelle An der Alster 35 in Hamburg. Inhaber der Firma waren bis zur Arisierung Siegfried und Hans Landmann. Erwerber der Firma war Otto Bieling.

Siegfried Landmann (*1877 in Fürth) floh 1938 nach Schweden und ging dann 1939 nach Brasilien. Sein Bruder Hans Landmann (*1880 in Fürth) floh 1938 in die Niederlande und noch vor der deutschen Besetzung weiter nach Schweden, wo er 1950 verstarb.

Im Hamburger Fremdenblatt (Abend-Ausgabe Nr. 285, S. 4) vom Dienstag, 14. Oktober 1941 wird eine Veränderung im Handelsregister erwähnt: „[…] Die bisherige Firma wird neben der neuen Firma Otto Bieling K.G. mit dem Nachfolgezusatz fortgeführt als H. Landmann & Söhne, Otto Bieling Nachf. K.G.

Richard Grimm erwähnt seine Tätigkeit für die Firma H. Landmann & Söhne an mehreren Stellen und auch ein von ihm verwendeter Briefumschlag verweist auf diese Firma, denn auf der Rückseite ist die Firmenadresse aufgedruckt. Welche Funktion er genau hatte, geht aus den Briefen nicht genau hervor. Fest steht, dass er Überweisungen tätigte und die Firmenpost bearbeitete.

Das weitere Schicksal der Familie ist unbekannt.

Insgesamt sind elf Briefe vom 9. Juli bis 22. Dezember 1940 überliefert. 

Rechtschreibung und Zeichensetzung der Briefe wurden übernommen.

Adresse von Thekla Grimm: Wiesenhöfen No. 3 bei Reuter in Hamburg-Volksdorf
Absender Richard Grimm, Bleicherstraße 59, Goetheschule, in Hamburg-Wandsbek; darunter die durchgestrichene Firmenadresse von H. Landmann & Söhne.
  1. Juli 1940

Hbg-Farmsen, 9.7.40

Liebe Mutti!

Ich kann Dir heute durch Franz Duve ein kleines „Anbei“ übersenden. Das Feinbrot ist schon von Freitag, vielleicht kannst Du es Hofmanns geben, da Ihr ja noch genügend habt. Die Kruke mache bitte sauber.

Der Rotwein ist für Mutter bestimmt, die Sukkade zum Backen; Das Stück Fleisch ist dänisches Bacon-Fleisch (Schweinefl.) frisch von gestern, schmeckt gut zu Euren Bohnen. Backpulver habe ich auch bekommen; Zucker auch.
Das Wetter ist ja heute herrlich; ich werde mich heute mittag bis 20 draussen sonnen; von 2-40 habe ich wieder Wache! Heute abend rufe ich bei Euch an. Ist Werner mit seinem Stuhlgang wieder in Ordnung?

Jetzt gehen wir gleich zum Essen; mein Magen knurrt schon. Meiner Erkältung geht es besser.

Herzliche Grüsse Euch Allen und einen Extrakuss von Deinem getreuen Männe

 

13. Oktober 1940

Hamburg-Farmsen, den 13. Okt. 40.

Meine liebe Thekla!

Es ist jetzt 7 Uhr abends und Du sollst jetzt von Zeit zu Zeit, ausser unseren telefonischen Unterhaltungen, auch briefliche Nachrichten von mir erhalten, damit du weisst, was ich tue und treibe und welche Gedanken mich bewegen. Es soll kein Rechenschaftsbericht sein, mein Deern, denn ich glaube doch, dass Du mir allmählich Vertrauen schenken wirst, sondern diese Zeilen sende ich Dir aus freien Stücken, vielleicht dass sie Dich ein wenig aufheitern und Zerstreuung bringen werden.

Unser Gespräch von heute nachmittag hat mich natürlich sehr betrübt und nachdenklich gestimmt, dass Euch Werner einen dicken Strich durch die Rechnung mit seinem Fremdsein gemacht hat. Aber ich hoffe bestimmt, dass sich dies in ein paar Tagen, vielleicht schon heute nacht geben wird, dass er sich dann an die neue Umgebung gewöhnt hat.

Meine liebe, gute Thekla, Du musst nicht alles so furchtbar schwer nehmen, denn vor allen Dingen musst Du Dich unseren Kindern gesund erhalten, denn was sollen die armen Würmer anfangen, wenn Du auf der Nase liegst; Omi ist doch nicht mehr kräftig genug, sich um die Erziehung von 3 Kindern zu kümmern. Also Kopf hoch; es wird schon alles wieder besser werden, und, wie Du neulich selbst sagtest, man weiss nie, wozu es gut ist, was einem das Schicksal auferlegt.

Ich habe es doch nur gut gemeint mit dem Umzug zu Mutter, weil Du erstens nicht so allein abends sein sollst und zweitens natürlich auch wegen der sicher noch zu erwartenden Luftangriffe bei Nacht; gestern abend war übrigens von 220 bis nachts gegen 3 Uhr Luftgefahr, Alarm wurde aber nicht gegeben.

Dass  ich diese Zeilen mit der Hand schreibe, geschieht aus zweierlei Gründen, einmal weil ein mit der Hand geschriebener Briefe persönlicher wirkt; es soll Dir einen Teil meines Ichs übermitteln, auf dass er Deine „Einsamkeit“ (trotz unserer Dich sicher in Atem haltenden beiden Buben) ein wenig aufhelle; andererseits will ich auf einem Sonntag abend nicht mit der Maschine zu klappern anfangen, und drittens kann ich den Brief, wenn ich ihn hier in meiner Ecke mit der Hand schreibe, vor unberufenen Augen der Kameraden schützen.

Meine liebe Mutti; ich muss jetzt (1925 Uhr) auf einen Augenblick unterbrechen, Hein Borger bringt soeben den heissen (aufgewärmten) Abendkaffee; ich will dabei auch essen; Ihr werdet wohl schon in Eurer neuen, doch auch ganz gemütlichen Behausung Euer „Abenddiner“ intus haben.

Dass Franz, der getreue Paladine, wieder da ist, sagte ich Dir bereits am Telefon, was für Dich eine grosse Beruhigung ist, wenn es auch mir einen kleinen Stich gibt, in Hinblick auf das noch mangelnde Vertrauen. Aber den will ich gern einstecken, mein Muttchen, wenn es Dich beruhigt, und ich selbst muss auch sagen, dass mir Franz Duve der angenehmste und zuverlässigste Kamerad ist, nicht nur weil ich ihn vom September 1939 her kenne, sondern weil er auch ein vernünftiges Wort reden kann. Er lässt Dich auch jedes Mal grüssen, wenn ich auf Urlaub gehe.

Gestern abend bin ich hier mit meinem ganzen Gepäck gut, wenn auch ziemlich verschwitzt, gelandet, und daher rührt auch mein eintägiger Schnupfen her, der heute abend schon wieder im Abklingen ist. Letzte Nacht habe ich zeitweise stark gehustet, aber es scheint doch, als wenn die Drops, die Du mir besorgtest, etwas geholfen haben. Um 5 Uhr heute früh wurde ich dann geweckt (von Bernhard Franck, der von 3-50 Aussenwache bei den Fahrzeugen hatte), um meinen Telefondienst anzutreten. Die 2 Stunden vergehen  verhältnismässig schnell: 2 illustrierte Zeitschriften, die Abendzeitung verdaut, und zum Schluss Kasse gemacht.

Während meiner Urlaubszeit hat mich Jankowski am Telefon vertreten. Ob ich nun hier dauernd von den Aussen-Nachtwachen entbunden bin, was ja sehr angenehm wäre bei der vorschreitenden Jahreszeit, weis such noch nicht. Jedenfalls habe ich morgen vormittag von 9-110 wieder Telefondienst. Blankenburg hat inzwischen einmal nachts und einmal am Tage Unterkunftswache gehabt.

Heute morgen nach dem Kaffee – von 7 bis 7 ¾ Uhr hatte ich mich nochmal wieder hingelegt – habe ich erstmal die noch unerledigte Post abgelegt und die Aufträge eingetragen. Post war gestern abend schon für mich da, aber nur Hamburger Post, nicht von Fürth. Ab 1130 habe ich die Morgen-Zeitung gelesen, und um 12.25 sind wir zum Essen abmarschiert; es gab heute Rotkohl, Rindfleisch & Kartoffeln, vorweg eine salzige Brühe und hinterher einen schönen Pudding.

Sonst ist das Essen während der letzten 8 Tage ziemlich mies gewesen. Am Sonnabend haben sie sich alle über das Zubrot (ausgekochtes Rindfleisch) beschwert. Auch die sogenannte „Gekochte“ war heute sehr fettarm. Nach dem Essen habe ich „der Ruhe gepflegt“, fast zu lange, da ich mit entsetzlichen Kopfschmerzen um ½ 40 aufwachte. Draussen suchte ich für kurze Zeit Kühlung und Linderung, aber das ungemütliche Wetter zwang mich bald zum Umkehren an die „festliche Kaffeetafel“ in unserem Ess- und Schlaf-„Salon“; ein ziemlicher Gegensatz zur vorigen Woche, wo wir trotz der Arbeit doch stets eine gemütliche, „Vesper“ hielten. Aber ich will nicht klagen und Dir das Herz schwer machen, denn für Dich ist die Trennung doch härter, mein Medl, das sehe ich ein; denn die rauhen Männernaturen lassen es nicht zu, für längere Zeit trüben Gedanken nachzuhängen.

 Bis zum Dunkelwerden habe ich gelesen in der „Menschlichen Tragikomödie“ von Scher, (die 2 Bände, die ich von Scheln zum letzten Geburtstag erhielt) und dann diesen Brief zu schreiben begonnen. Die Uhr geht jetzt auf 210. Ich mache einstweilen Schluss und sage Dir herzlich Gute Nacht, mein liebes Weibi; hoffentlich habt Ihr eine ruhige Nacht in Bezug auf Werner und die Sirenen, damit Ihr morgen mit frischem Mut Euer Tagewerk beginnen könnt.

Glaube mir, der Übergang ist immer das Schlimmste, und morgen wird es bestimmt schon besser gehen.
Grüsse bitte Margret und Klaus und auch Werner recht herzlich von ihrem Pappi, auch Mutter natürlich, und Klaus soll mir nächstes Mal erzählen, was er im Kino gesehen hat. Und Du selbst, mein Medl, sei innig umarmt von Deinem stets Dein gedenkenden Richard

 

Dein kleiner Liebesbrief hat mich trotz der Kürze sehr erfreut und ist auch ein Anlass zum heutigen Schreiben mit gewesen. Franz liest augenblicklich „Krösus Vagabund“ und sieht und hört nicht von der Mozart´schen schönen, wenn auch etwas schweren Musik und der angeregten Unterhaltung; wir sind alle hier, bis auf Blankenburg; ich werde mich noch für eine halbe Stunde zu Franz setzen und auch lesen. Soeben kommt der Hauptwachtmeister herein und meldet die Anwesenheit des Majors hier in Farmsen, vielleicht dass er auch noch zu uns kommt.

 

 15. Oktober 1940

Hamburg-Farmsen, den 15. Oktober 1940 330 morgens

 

Meine liebe Thekla!

Ich hoffe, dass mein erster Brief gestern nachmittag noch rechtzeitig in Deine Hände gelangt ist. Du, oder derjenige, die die gerade den Brief angenommen hat, wirst Dich wohl über die Art der Zustellung gewundert haben. Da aber der junge Mann de als Maurer schon seit Anfang an bei uns beim Bau des Luftschutzkellers tätig ist, ganz in der Nähe von Mutter, Im alten Dorfe wohnt, erklärte er sich gern bereit, die Besorgung des Briefes für mich zu übernehmen. Auf diese Art gelangtest Du einen Tag früher in den  Besitz meiner Zeilen, die, wenn sie auch nichts Wichtiges enthalten, Dich vielleicht doch erfreut haben.

Während ich diese Zeilen schreibe, schlaft Ihr Alle hoffentlich ungestört dem neuen Tag entgegen. Ich sitze hier im Rektorzimmer wieder meine Telefonwache von 3-5 Uhr ab. Ja, mein Kind, diese Nacht haben wir noch nicht viel Ruhe gehabt. Ihr werdet wohl auch um 2150 Uhr durch das Sirenengeheul aufgeweckt worden sein, ich lag gerade ¼ Stunde im Kahn, genau so erging es allen Andern auch; Bode wollte gerade das Licht ausdrehen und die Vorhänge aufziehen, um zu lüften, als der Alarm uns wieder aus den Betten holte. Die Schiesserei war ja nicht schlimm, wenn sie sich auch fast 1 ½ Stunden hinzog, und die Entwarnung um 2350 Uhr liess uns natürlich Alle wieder schleunigst in die Koje kriechen. Doch der Traum war kurz, um 135 Uhr ertönten aufs neue die Sirenen; wieder raus aus den Betten, hinein in die Hosen, um uns um 2 Uhr abermals aufs Ohr zu legen. Hoffentlich lassen sie uns jetzt in Ruhe, denn um 220 wurde erneut Luftgefahr durchgegeben, die bisher (355) noch nicht aufgehoben wurde.

Und wie habt Ihr den gestrigen Tag verlebt? Na, das erfahre ich ja heute mittag, wenn ich wie versprochen bei Dir anwecke. Hoffentlich ist dann auch solch schönes Herbstwetter wie gestern; solche Tage müsst Ihr ausnutzen. Schade nur, dass vergangene Woche nicht mal so ein Tag dazwischen war. Na, aber darum war die Ferienwoche doch schön, nicht mein Medl; trotzdem wir beide nicht die Hände in den. Schoss legten, haben wir doch viel von einander gehabt.

Vom gestrigen Tag ist eigentlich nicht viel zu berichten. Eine Tasse mit blau-goldenem Rand habe ich gestern mittag in Farmsen erstanden für 45 Pfennig! Während der Mittagsruhe bis 3 Uhr habe ich mich lang gemacht und einen leichten Unterhaltungsroman in Heftform angefangen zu lesen, den ich gestern abend dann auch schon durch hatte. Von 3 bis ½ 5 Uhr hatten wir Unterricht über Grusspflichten der Polizei und des SHD. Zum Kaffee wurden 3 Scheiben Honig-Brot (kein Honig-Kuchen) verdrückt, und anschliessend draussen in der Sonne an einer geschützten Stelle am Haus habe ich den Aufsatz aus der Menschlichen Tragikomödie über Kaiser Maximilian von Mexico beendet (ganz solo im Kasten, ohne Belästigung!)

Übrigens bereiten sich bei uns auch irgendwelche Veränderungen vor, die auch für uns von Bedeutung sein können. Ich sage: können, weil Positives noch nicht raus ist. Mit der vorrückenden Jahreszeit muss nämlich für unsere Fahrzeuge, die bisher Tag und Nacht bei Wind und Wetter draussen standen, eine Unterkunft besorgt werden uns das ist ein Problem, das wegen Raummangels nicht so leicht zu lösen ist.  Der Führer der Kraftfahrstaffel war gestern bei uns, um die Sache in die Hand zu nehmen. Die Turnhalle als Autogarage kommt nicht in Frage wegen des linoleum-belegten Fussbodens. Auf dem gegenüber liegenden Hof von Krogmann kann auch kein dementsprechender Raum (für 3 Wagen und 2 Krafträder) freigemacht werden. Nun ist die Motorsportschule der SS in Berne (von Farmsen aus gleich links am Eingang der dunklen Waldstrecke) gestern nachmittag zu dem Zweck besichtigt worden.

Weiteres steht noch nicht fest, besonders in Bezug darauf, was alle, falls uns diese Räume, die angeblich jetzt leer stehen sollen, zur Verfügung gestellt werden, nach dorthin verlegt wird; ob nur die Kraftfahrer, oder das ganze Sofortkommando; man sagt sogar („man“) dass dann auch die Feuerwehr dorthin übersiedeln soll, da auch deren Wagen und Geräte bisher den Unbilden der Witterung stets ausgesetzt waren. Wie gesagt, ich will Dir noch keine Hoffnung machen, dass wir von der Rettungsstelle getrennt werden; aber irgend etwas muss geschehen. Die Entscheidung fällt natürlich nicht von heute auf morgen, man muss für alles, was von oben kommt, Geduld haben.

So mein Medl, das wäre für heute morgen (es ist jetzt 440 so ziemlich alles, was ich Dir zu erzählen hatte. Diesen Brief werde ich wohl heute durch die Post befördern lassen, nachdem ich mit Dir telefoniert habe. Ich will jetzt noch eine Viertelstunde lesen und mich dann noch für 2-3 Stunden hinhauen. –

Einstweilen herzlichen Gruss und Kuss von Deinem Männe!

 

Abends, um 190 Uhr

So, mein Deern, nun wollen wir schnell noch ein paar Zeilen schreiben. Das war heute ein aufregender Tag, und wer weiss, was noch folgt. Ja, das war eine Überraschung heute vormittag, als es durchsickerte, dass wir versetzt werden sollten; es hiess zuerst, wir kämen nach der Feldstrasse, eine halbe Stunde später verkündete der Wachtmeister, dass wir heute abend um 21 Uhr versetzt würden. Das gab natürlich grosses Hallo. Vorher hatte ich schon, wie ich dir bereits am Telefon mitteilte, mit Blankenburg auf dessen Wunsch verabredet, dass ich morgen früh von 7-120 Uhr für ihn Urlaub nehme und er dafür meinen Urlaub am Montag morgen antritt. Na, das kommt so nun vielleicht noch ganz anders und wird sich erst herausstellen, wenn wir in der Bleicherstrasse sind. Ob das Problem mit der Motorsportschule Berne noch starten wird, entzieht sich noch unserer Kenntnis. Jedenfalls kommt eine Gruppe aus der Bleicherstrasse hierher und wir dafür dorthin. –

Eben habe ich Abendbrot gegessen; es ist 20 Uhr. Alle sind in Bewegung und packen ihre letzten Sachen zusammen. Die Hauptsache haben wir schon heute nachmittag gepackt. Jeder hat mindestens 2 grosse Bündel; ich habe allein 4 „Päckchen“; alle Sachen werden in den Wagen gepackt; wer ein Rad hat, fährt per Rad; die übrigen werden per Auto dorthin expediert. Wir warten nun alle der Dinge, die da kommen sollen; alle Schränke sind leer, alle Betten der schwarzen Decken beraubt, alle Fächer kahl.

Also, liebe Mutti, erstmal Schluss für heute; man kann hier nicht mehr in Ruhe schreiben. Wir sehen uns ja hoffentlich morgen wieder. Bis dahin viele herzliche Grüsse und Küsse von Deinem Dich stets liebenden Richard

 

16. Oktober 1940

Hamburg-Wandsbek, den 16. Oktober 40 1830 Uhr

Meine liebe Thekla!

Bevor der Briefkasten ausgenommen wird (1915), will ich Dir noch schnell ein paar Zeilen für morgen zukommen lassen. Über die gestrigen Ereignisse bist Du ja durch meine heutige Anwesenheit bei Dir (wenn sie auch leider nur kurz war) im Bilde. Ich lege, wenn sie auch überholt sind, meine gestrigen Zeilen noch bei, da ich vermute, dass sie Dich trotzdem noch interessieren.

Gestern abend sind wir um 2125 (Edel, Jani und ich) von Farmsen abgedampft per Rad, während die übrigen per Auto mit unseren Sachen vorweggefahren waren. Der kleine Trunk bei Mitzingen an dem Adolf Hitler Damm wurde, kaum, dass wir Platz genommen hatten, durch das Sirenengeheul unterbrochen, und als wir kurz vor unserem Ziel in der Bleicherstrasse waren, platzten hinter uns bereits die Flakgeschosse; auch ein Leuchtschirm erleuchtete über Ostwandsbek die ganze Gegend. In der Nacht dann nochmals von 2330 bis nach 1 Uhr Fliegeralarm. Der Schlaf in der ungewohnten Umgebung, mit 14 Mann in einem kleinen Raum, war natürlich auch nicht erquickend. Um 430 war ich einmal hoch, und um 625 bin ich endgültig aufgestanden, um gleich nach der Ankunft Blankenburgs dann Kurs auf Volksdorf zu nehmen.

Heute mittag bin ich kurz vor 1230 Uhr bei Wilhelms angelangt. Es gab an tischtuchbedeckten Tischen (welch ein Gegensatz zu dem düsteren muffigen Saal bei Klinkrad) Fliederbeersuppe mit 2 Griesklössen, Goulausch mit kräftiger Sosse & Kartoffeln und Gurkensalat; letzteres für jeden in einer kleinen Glasschale. Anschliessend bin ich kurz bei Clara vorgewesen; Theo war gerade hoch im Baum und schnitt Aeste heraus; er wollte nicht erst herunterkommen. Die Neuigkeit von Elmshorn ist Euch wohl unbekannt. Die beabsichtigte Fahrt ist wieder nur eine Woche, auf den 27.1040, verschoben worden, weil Amsel am kommenden einer Führerinnen-Tagung oder ähnlich beiwohnen muss. Da ist insofern schade, als dass ich am übernächsten Sonntag kein Urlaub habe, wie alle übrigens nicht. Die Sache ist so geregelt, dass an einem Sonntag die Feldstrasse, am nächsten die Bleicherstrasse „Dienst“ oder sich in Bereitschaft halten muss; am nächsten, kommenden Sonntag, hat die Bleicherstrasse, also wir alle frei von morgens 6 Uhr bis abends 20 Uhr. – Ausserdem komme ich wahrscheinlich am kommenden Freitag um ca. 140 zu Dir bis abends 90. Fein, nicht wahr? Falls ich Dich morgen telefonisch nicht erreichen sollte, komme ich also übermorgen, Freitag, um 140 nach den Wiesenhöfen.

Ja, Mammi, es wird Zeit, dass der Brief fortkommt. Heute nachmittag habe ich erstmal probeweise hier in der Unterkunft Post erledigt, nach Fürth und an die Banken geschickt. Einen Tag muss ich auch mal kurz ins Kontor, um verschiedenes nachzusehen; vielleicht kommst Du dann mal mit, dass wir zusammen uns die Nachmittags-Vorstellung von Jud Süss ansehen!!!

Inzwischen sei Du herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem Dir stets treuen Richard

 

Heute abend wird, falls kein Skat zustande kommt, „Volk ohne Raum“ angefangen!

 

17. Oktober 1940

Hamburg-Wandsbek, den 17. Okt. 40

Meine liebe Thekla!

Ich will heute noch mal die schriftliche Epistel fortsetzen, um meine Berichte fortlaufend zu ergänzen. Allerdings müssen wir in 10 Minuten unseren „Dienst“, Verbände üben, antreten, von 15-160, und anschliessend bis 170 Wiederbelebungsversuche unter Zugführer Piening. Eigentlich wollte ich heute nachmittag bis 150 schlafen, um den versäumten Schlaf der letzten Nacht nachzuholen; dann bis 115 Uhr haben wir wieder im Luftschutzkeller gesessen. Gestern abend hatte ich gerade das 1. Kapitel vom „Volk ohne Raum“ beendet, als ich von zwei Seiten gewünscht wurde; die beiden Heins (Edel und Berger) wollten mit mir Skat spielen und ein Neuer, Schick, suchte jemand zum Schach spielen. Ich habe mich natürlich für das Letztere entschieden und bis 2130 2 Partien (1:1) durchgefochten. Dann habe ich noch beim Skat zugesehen und wollte mich gerade in meine Gemächer zurückziehen, als Jankowski vom Urlaub mit der Nachricht zurückkam, dass der Hamburger Sender eben bereits wieder abgestellt, also demnach Fliegeralarm zu erwarten sei. Infolgedessen legt man sich garnicht erst hin; nur Bernhard Franck hatte sich schon um 9 Uhr hingelegt. Und richtig, eben nach 100 ging der Tanz los, alles in den Keller, wo sich bald Skat- und Schachecken bildeten. Mit meinem Lesen im „Volk ohne Raum“ wurde des nicht viel, da ich bald zu den zahlreichen Kiebitzen beim Schach gehörte. Gegen Zwölf schoss ich die Dir bekannten, unsympathischen Böcke; meine Augendeckel klappten immer wieder zu; bis auch dieser tote Punkt überwunden war. Gegen 1 Uhr sind einige von uns, darunter Bode, Janki, Bankenburg und meine Wenigkeit, nach oben in unseren Tagesraum gegangen und haben „zu Nacht“ gegessen, denn von der vielen Schiesserei wird man wieder hungrig.um ¼ nach 1 erfolgte die Entwarnung; 5 Minuten später habe ich, glaube ich schon geschlafen, fest bis ¼ nach 60; da war es aus, ein Kribbelhusten reizte mich wieder; am Tage huste ich fast garnicht. Um 7 ½0wurde aufgestanden; Borger, der natürlich schon vorher hoch war, hatte schon die grosse 10 Ltr Milchkanne mit heissem Kaffee, der nebenan in der „Herberge der Heimat“ gekocht wird, geholt, und das Spachteln konnte beginnen.

Es schlägt gerade halbsechs von der nahen Johanniskirche am Marktplatz. Inzwischen haben wir unseren „Dienst“ hinter uns; auch bin ich eben zum Telefonieren gewesen, am Marktplatz, leider vergebens, da ich unter No. 209727 keinen Anschluss bekam. Vielleicht hast Du heute vormittag vergeblich auf meinen Anruf gewartet; ich konnte es aber leider nicht ändern. Heute morgen hatten wir Stubendienst, darunter fallen folgende Räume: unser Schlafraum, unser Tagesraum, der Corridor, eine Treppe, das Arztzimmer, das Geschäftszimmer und der Luftschutzraum. Unser Dienst begann heute morgen infolge des Alarms erst um 100; anschliessend bis 110 Handball auf dem Sportplatz am Gasweg. Um 110 konnte ich auch nicht weg, da jeden Augenblick der Major zur Inspektion kommen sollte; er erschien aber erst um 1230, als wir schon zum Essen waren. Vorher um 1230 hatte ich von der Zelle an der Marktkirche aus noch versucht, Dich zu erreichen, aber nein.

Unser Essen war wieder sehr schön: Frische Suppe mit Nudeln und Karotten, sehr fett, dann Sauerkraut, Kartoffeln und ein schönes Ende Bockwurst. Den Nachtisch habe ich mir dann bei Clara geholt in Form von Apfelmus. Theo war auch da; sie waren gerade mit dem Essen fertig. Wir haben uns nochmal über den Elmshorn-Besuch unterhalten. Ich schrieb Dir gestern schon, dass der Besuch um einen Sonntag verschoben wurde. Auf meine Veranlassung hin soll der Besuch nun erst am Sonntag in 14 Tagen erfolgen, damit Du, mein Deern, an dem Sonntag dann nicht allein bist. Aenderungen vorbehalten, haben wir alle 14 Tage Sonntag Urlaub von 6-200.

Ausserdem würde es Clara am 27. ds. auch nicht passen, da sie dann wahrscheinlich ihren „Konzertabend“ hat.

Ich werde jetzt gleich noch mal versuchen, bei Dir anzurufen, hauptsächlich um Dir mitzuteilen, dass [Ergänzung: ich] morgen (leider) noch nicht komme, sondern erst am Sonnabend die gleicht Zeit von 14-220 infolge der Neueinteilung sind verschiedene Änderungen eingetreten.

Aber mit kommenden Sonntag bleibt es von 6-200.

Soeben habe ich noch zweimal bei Dir anzuwecken versucht, um 180 und um 1820. Damit Du rechtzeitig von meinem Nichterscheinen morgen unterrichtet bist, habe ich bei Butte angerufen; Frau Butte wollte Dir die Bestellung ausrichten. Ich komme aber wie gesagt am Sonnabend. Morgen werde ich um 11-11 ¼0 bei Dir anrufen, dann um 1220, wenn wir zum Essen gehen, und wenn das nichts nützt, um 1715 und 180 noch mal.

Eben habe ich Abendbrot gegessen, 6 Scheiben mit Edamer Käse und Wurst; das Kaffeetrinken nachmittags haben wir uns schon abgewöhnt, da der heisse Kaffee erst um 180 geholt werden kann. Durch das frühe Abendessen bekommt man Nachts dann wieder Hunger.

Ja, mein Medl, die Uhr hat eben 70 geschlagen; ich muss den Brief jetzt beenden, da um 1915 der Kasten geleert wird; dann erhältst Du diesen Brief hoffentlich morgen vormittags.

Wart Ihr gestern mit Kind und Kegel im Keller? Denn geballert wurde ja ganz nett. Hoffentlich braucht Ihr diese Nacht nicht hoch. Aber gute Nacht, meine liebe Frau, liebe Kinder und Omi, seid alle vielmals gegrüsst, und Du, liebe Mutti, herzlichst umarmt von Deinem lieben Männe

 

22. Oktober 1940

Hamburg-Wandsbek den 22. Oktober 1940

Meine liebe Thekla!

Noch keine 6 Stunden bin ich von Dir weg, und schon sitze ich wieder am Pult, um Dir weitere „Erlebnis-Berichte“ zu übermitteln.

Als erste Neuigkeit diene Dir, dass ich für 8 Stunden wieder abkommandiert bin zur Rettungsstelle oder richtiger zum Sofortkommando I in der Kurzen Reihe, wo ich vergangene Woche bereits einmal war. Ich nehme diesen Posten ja lieber als vielleicht als Ersatzmann nach Farmsen oder Rahlstedt verlegt zu werden. Dies sind hier alles ruhige vernünftige Leute; wo Schach und Skat gespielt wird und Radio zu hören ist. Ausserdem liegt der Raum nach Süden, wo jetzt die Sonne mein graues Haupt bescheint.

Ja, mein Medl, heute morgen war es ja eine ziemliche Hetze, auch für Dich wohl? Bist Du gut nach den Wiesenhöfen gekommen mit Sack und Pack? Margret wird wohl Dir einen Teil per Rad angenommen haben. Für heute nachmittag wünsche ich Euch noch viel Spass mit Frau Hofmann.

Punkt ¾ 90 war ich heute morgen in der Bleicherstrasse, dort gab e natürlich grossen Hallo seitens der Kameraden, von wegen kann von der Frau nicht wegfinden usw. usw. Na, auch das muss ertragen werden; Dienstbeginn war infolge des Alarms erst 9 ¾0; antreten auf dem Gasplatz zum Exercieren, Formschule bis 110

Bei Wilhelms gabs heute „fleischlos“; Heringe in sauer mit Bratkartoffeln, die aber nicht reichten, sodass andere Kartoffeln (ohne Sauce) aushelfen mussten; vorweg eine Kraftbrühe mit Wurzeln und Sternchen-Nudeln und hinterher Kronsbeeren-Kompott mit Pudding. – Zu Clara konnte ich nicht mehr gehen, da ich nach dem Essen gleich hierher musste, um einen Urlauber zu vertreten.

Um beim Urlaub zu bleiben, also der Tagesurlaub ist ab sofort um 2 Stunden abends gekürzt, also bis 200, anstatt bis 220, und zwar infolge der frühzeitigen Angriffe von gestern und Freitag; das ist natürlich bitter für die, die einen weiten Weg von 1 Stunde und mehr. Das Sofortkommando hier steht sich insofern besser, als dass es alle 5 Tage 24 Stunden Urlaub hat; allerdings haben sie Sonntags keinen Urlaub, wie wir alle 14 Tage. – Man munkelt bereits davon, dass der Nachturlaub für alle vollkommen gesperrt werden sol. Na, abwarten, wir haben unseren erstmal gehabt und 9 Tage sind eine lange Zeit, wo noch viel Wasser vom Berge läuft.

Meinen letzten Brief sandte ich Dir, glaube ich, am Donnerstag abend, Dir mitteilend, dass ich statt Freitag erst am Sonnabend zu Dir komme. Am Freitag vormittag hatten wir Sport: Handball auf dem Gasplatz. Mittags war ich bei Clara und habe dort meinen Rucksack abgegeben, den ich am Sonnabend mittag wieder gefüllt mit Äpfel und Birnen wieder abholte. Nachmittags sollten Verbände geübt werden, was genau wie bei uns meistens so vor sich geht, dass der Kasten mit den Übungsbinden auf den Tisch gesetzt wird und im übrigen jeder tut, was er will. Am Sonnabend morgen war, wie ich Dir bereits mitteilte, grosses Revierreinigen mit 3 zerrissenen Feulen [sic!] für das ganze Haus. Es wird monatlich 1 Feudel geliefert! Otto Bode und ich haben wieder unten im Parterre das Zimmer des Arztes und dasjenige des Zugführers Piening vorgenommen, während die anderen, soweit sie nicht zum Kartoffelschälen abkommandiert waren, die oberen Räume zu säubern hatten.

Über unser Treffen in der Stadt am Sonnabend brauche ich mich ja nicht weiter auslassen; es war doch schön, mal wieder bei guter Musik im Alstereck zu sitzen und zu plaudern, als ob noch Friedenszeiten wären. Na, auch das wird vielleicht wiederkommen!

Dass [Ergänzung: ich] von Sonnabend auf Sonntag Wache hatte, sagte ich Dir schon von 10-120 und von 4-60. Die ersten 2 Stunden vergingen sehr schnell, da die Kraftfahrer, in deren Raume das zu bedienende Telefon steht, dort noch 66 spielten. Du siehst, auch dieses Alte-Tanten-Spiel ist selbst bei Männern hier nicht aus der Mode; ich habe dabei das ganze Sonnabend-Freudenblatt durchstudiert; gleichzeitig hatte ich vorher einen 30 Pfg.-Roman angefangen, den ich morgens von 4-50 beendete. Um ½ 50 habe ich einen Kameraden geweckt, der um 6 ¼0 per Bahn nach Rahlstedt fahren wollte; die übrigen wurden von mir um ½ 10 geweckt. Punkt 605 sind Franz Duve und ich dann abgedampft Richtung Volksdorf. Auch dieser Tag, mein Medl, war schön trotz der vielen Allbereien und Quälereien mit den Kindern, wie überhaupt es immer schön sein soll, wenn ich bei Dir bin, nicht wahr?

Unterwegs am Sonntag abend traf ich in Berne Höppner, den ich von der Feldstrasse vom September her kenne. Bis Sonntag mittag hatte er Urlaub, fuhr aber schon jetzt wieder zurück, da er allein in der Wohnung wohl nicht sein mochte. Im Frühjahr ist ihm seine Frau gestorben, sein Junge ist in der Lehre und wohnt bei seiner Schwester. So ist die Wohnung kalt, wenn er nach Hause kommt; wenn er nicht sein Land dabei hätte, das er zu bestellen hat, würde er seinen ganzen Hausstand auflösen. Kannst Du es ihm da verdenken, dass er sich unter diesen Umständen in seiner Gruppe wohler fühlt als zu Hause?

Wenn abends oder nachts Alarm ist, versammeln wir uns oben auf dem Flur, um die anwesende Stärke festzustellen und gehen dann geschlossen in den Keller zu gehen, wo sich gleich Skat-, Schach- und Leseecken bilden. Am Schachtisch wirst Du mich stets finden, um als Zuschauer den Gang der einzelnen Züge zu verfolgen. Man kann dabei, auch wenn der betreffende Spieler kein grosses Schach-Licht ist, immer etwas lernen.

Unter den Kraftfahrern befinden sich verschiedene, die ich wohl so leicht nicht schlagen könnte. Von dem einen Halbjapaner Nischi Scheel, der ein Photogeschäft in der Mönckebergstrasse hat, bin ich schon zu einer Partie aufgefordert worden; es hat sich aber noch keine Gelegenheit geboten. Beim letzten Alarm am Sonntag abend von 21-22.450 spielte er selbst 3 Partien mit einem Kameraden und nachher beim 2. Alarm von ½ 4-620 waren wir alle zu müde, um unseren Geist noch anzuspannen.

Die meiste Zeit habe ich auf einem Tisch an der Wand geschlafen, mich lang gelegt, Gasmaske als Kopfkissen; man lernt allmählich in jeder Lage und zu jeder Tageszeit zu schlafen. Bis ½ 90 am Montag morgen haben wir geschlafen; der Dienst fiel ganz aus, was mir insofern gut passte, als dass ich die ganzen Fürther-Buchungen für September eintragen konnte; und mittags nach dem Essen war ich schon wieder auf dem Wege zu Dir!

Ja, meine Mammi, wenn nichts dazwischen kommt, wie Urlaubssperre oder so, bin ich also übermorgen schon wieder da!

Wird es nicht ein bischen zu viel? Ich glaube nicht; wir können es beide vertragen, unseren Urlaub zu geniessen.

Also erst mal Schluss für heute, mein Deern; morgen nachmitttag rufe ich Dich wie versprochen an zwischen 50 und 60; vielleicht gleich kurz nach 50 und dann um 530 und 60.

Inzwischen sei Du und die Kinder herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem Dir stets treubleibenden Richard

 

Auch an Mutter natürlich einen herzlichen Gruss!

 

 29. November 1940

Hamburg-Farmsen, den 29.11.40

Meine liebe Thekla!

Ich stehe hier am offenen Fenster in meinem Zimmer, um ein wenig Sonne zu atmen, denn das Wetter ist ja seit heute morgen klar, sonnig und rein. Ich freue mich für Euch, dass Euch an Eurem Freitags-Reinmachetag Petrus so hold ist. Hoffentlich bleibt es ein paar Tage so.

Entschuldigt bitte die schlechte Schrift, aber erstens schreibt es sich an der Fensterbank im Stehen nicht besser, und zweitens ist meine Feder durch die vielen Schreibereien der letzten Tage fürs Geschäft so spitz und kratzig, dass es wirklich nicht besser geht.

Heute ist wohl Frau Köhncke wieder bei Euch; zum Rasenausstechen für das Rundbeet beim Schlafzimmer bin ich ja leider nicht mehr gekommen. Na, hoffentlich kann ich am Montag vormittag noch ein bischen im Garten arbeiten, denn am kommenden Sonntag wird wohl nicht viel daraus werden; oder hat sich der Besuch von seiten Hildegard und Kurt zerschlagen? Evt. Wolltest Du ja noch mal anrufen. – Und Willi + Ida kommen am Sonnabend in einer Woche?

Kommen Sie schon zum Essen oder später?

A propos, Essen. War es so abgemacht, dass ich am Sonntag mittag bei Euch essen soll? Ich glaube ja. Ich komme dann also um 130. Sonst ist das Essen hier immer derselbe Frass, ohne viel Geschmack, damit muss man sich abfinden; dafür wird Brot und Zubrot auch immer so ziemlich alle. Etwas Butter habe ich schon für Euch gespart und bringe sie am Sonntag mit; ebenso die 60g Kaffee, die wir vorgestern erhielten.

An Kurt Heesch habe ich heute geschrieben und lege Kopie für Dich hier bei an Frl. Fürböter schrieb ich vorgestern einen kurzen Brief und an die Wäscherei wolltest Du ja schreiben, da ich hier keine Karte zur Hand hatte und auch keine bekommen kann, da die Post von 12-150 geschlossen hat und wir ja nur mittags beim Essen mal. Schnell etwas besorgen können.

Heute nachmittag oder abend werde ich wohl wieder Telefonwache haben, sowie heute von 3-50. Gestern habe ich meine Ordereintragungen beendet und die Ultimo-Arbeiten angefangen, wie Geldabschreibungen. Auch das Geld für Frau Fehling geht morgen ab, ausgeschrieben ist die Anweisung schon. Du siehst, Dein Mann hat stets etwas um die Ohren, und wenn nicht, steckt er die Nase ins Buch und liest. In was für eins, wird noch nicht verraten; das soll Mutti zu Weihnachten haben; also 1 Teil bekommst Du bestimmt. Ja, in einer Beziehung mag man garnicht an die Festtage denken. Man tappt in dieser Hinsicht vollkommen im Dunkeln. Höchstwahrscheinlich werdet Ihr doch wohl auch hier sein, wenn es weiterhin so ruhig bleibt. Hoffentlich kann ich am 24.12. zu Euch kommen. Dass Du Dir weiter nichts wünscht zum Fest als dass wir alle zusammen sind, weiss ich ja. Welche Wünsche Du aber sonst noch hast, musst Du mir mal sagen, mein Medl; das heisst, ich glaube ja kaum, dass ich zu Weihnachten von H.L. + S. etwas bekomme; dann müssen wir natürlich unser Geld für Eure Winterreise zusammenhalten und dürfen nichts verklendern [sic!].

Was soll Margret denn von uns bekommen? Mutter wollte noch immer ein Teil zulegen zum Dynamo und die Hälfte von dem Buch für Werner Hofmann. Darüber müssen wir wohl auch einen Streich machen. Für Klaus haben wir ja schon genügend und Werner? Der erhält irgend ein kleines Spielzeug, nicht wahr? Und Mutter? Gegenseitig wollen wir uns ja nichts schenken, aber das will ich Dir überlassen, wo Du an Mutter ja immer eine grosse Hilfe gehabt hast und auch noch hast.

Ja, nun liebes Medl; es ist jetzt 150 Uhr; ich weiss nicht, ob wir heute nachmittag noch „Dienst“ haben; das bestimmt neuerdings der Wachtmeister, der den Dienstplan macht. Heute gegen Abend rufe ich Dich noch an; Hast Du letzte Nacht gut geschlafen? Auf jeden Fall wünsche ich Dir eine störungsfreie Nacht. Darf ich übrigens schone in Kreuz im Kalender machen? Danach zu fragen, habe ich gestern ganz vergessen.

Schicke bitte Margret doch mal zu Hanitz oder in ein Papiergeschäft evtl. auch zu Boysen und lasse bitte 50 von diesen Bogen (weisses Maschinenschreibpapier) besorgen, sowie 1 Dutzend Federn, aber nur Bremer Börsenfedern EF, sonst keine andern.

Es grüsst und küsst Dich vielmals Dein getreuer Richard

 

8. Dezember 1940

Hamburg-Farmsen, den 8.12.40.

Meine liebe Mutti!

Du bist jetzt knapp 2 stunden wieder fort und hoffentlich wohlbehalten mit Klaus zu Hause angelangt. Ich dachte garnicht, dass Du auf meine „Berichte“ solch grossen Wert legst; denn Deine Bemerkung im Bahnhof Farmsen, dass Du nie wüsstest, was ich hier treibe verriet mir das. Ein klein wenig bist Du wohl dich noch unruhig, womit ich meine ganze freie Zeit hier ausfülle. Aber wenn ich so zurückdenke an die bisherigen Tage hier in Farmsen, so muss ich sagen, dass ich nie über Langeweile zu klagen gehabt habe. Wie Du weisst, betreibe ich jetzt wieder meine Sprachstudien, um die freie Zeit möglichst nutzbringend anzuwenden, und zwar vorerst spanisch; englisch kommt auch noch an die Reihe. Wenn sich das „Lernen“ mal nicht passt, sei es durch Radio oder lautes Skat- oder 66-Dreschen, nehme ich meinen Roman, der zu Weihnachten Dein Lesestoff darstellen soll, und lese. Zweimal abends habe ich mir Patiencen gelegt und gestern abend haben wir uns zum Beispiel so vom Kriege 1914-18 unterhalten, wo Kamerad Picol und auch Thiede ihre Erlebnisse zum besten gaben.

Ja, Dein Pappi kann später garnichts erzählen; denn die SHD Tätigkeit wird ja nicht für voll genommen und bisher haben wir ja auch nichts erlebt. Aber Du musst nun nicht denken, dass ich darauf aus bin, etwas „zu erleben“; dazu ist man doch nicht mehr jung genug und hat Frau und Kinder, für die man lebt und strebt und u derenthalben man sich nicht unnötig in Gefahr begeben darf und will. Sonst sässe ich bestimmt nicht hier zwischen Leuten, die 10-20 Jahre älter sind und alle einen Krieg bereits hinter sich haben. Ich will nicht sagen dass sie unkameradschaftlich sind, aber ihre Einstellung zum ganzen Leben ist, bedingt durch den Altersunterschied, eine ganz andere als meine, und sie lassen doch, wenn auch vielleicht unbewusst, durchblicken, dass wir Jüngeren doch noch garnicht mitreden könnten.

Ja, meine Deern, ich will erstmal eine Pause einlegen, um Abendbrot zu essen. Ich sitze hier in meiner Schlafkammer „Solo im Kasten“. Nebenan im verqualmten Zimmer sitzen die übrigen und spielen Karten. Besuch von Ehefrauen etc. scheint nicht gekommen zu sein. Nur 2 Kameraden von einer andren Gruppe, die ich aber nicht kenne, kamen gleich nachdem Ihr fort wart, und sitzen noch drüben beim Skat.

Ich bin gleich heute nachmittag zu Steibel gegangen; wir haben gemeinsam das Zimmer (Telefon-Z.) verdunckelt, ich habe meine Maschine geholt und dann für ihn die 3 Seiten ausgefüllt; anschliessend haben wir uns noch über „Tod und Teufel“ unterhalten, über Gehalt, Dienst, Zivilberuf usw; wenn ich nicht Schluss gemacht hätte, sässe ich noch dort und holte mir Eisbeine, denn fusskalt ist es dort sehr.

Morgen berichte ich Dir weiter über meine SHD Tätigkeit; den Brief selbst werde ich Dir wohl am Mittwoch mittag, wenn mein Urlaub zu Ende ist, persönlich übergeben, denn es hat ja keinen Zweck, ihn morgen auf die Post bringen; dann bin ich ja früher bei Dir, als der Brief.

Aber, mein Medl, ich wünsche Dir eine angenehme und Dich für Deinen Waschtag, stärkende Nachtruhe, sowie viel Spass und Unterhaltung morgen nachmittag bei Hofmanns.

Inzwischen sei innigst gegrüsst und umarmt von Deinem Richard

 

Den 9.12.40, nachmittags 160

Liebe Medl, ich habe ich vergebens bei Euch angerufen, bis mir einfiel, dass Ihr heute ja nicht dort seid, sondern in Kaffee und Kuchen bei Hofmanns schwelgt. Ich sitze hier wieder mit Eisbeinen auf Telefonwache von 15-170.

Gestern abend habe ich noch bis 9 ½0 gelesen, dann konnte ich es von Schmerzen in der Magengegend nicht mehr aushalten; heute morgen war der Druck gottseidank weg; das kommt sicher von dem halbgaren Fleisch, das wir die letzten Tage erhielten.

 

Heute mittag war das Fleisch zum ersten Male besser, es gab Goulasch, süss-sauren Kohl, als Vorspeise eine Fruchtgrütze aus Kartoffelmehl mit einer gelblichen Sauce. Leider weiss die Klinkrad´sch ja ganz genau, dass sie keine Konkurrenz zu fürchten hat; daher wird auch der heutige Besuch des Hauptmanns bei uns, der sich gleich nach dem Essen erkundigte, nicht viel daran ändern, auch wenn er in der Küche bei Kl. War und dort ziemlichen Krach geschlagen hat.

Sonst hat sich bis jetzt nichts ereignet. Heute morgen sind wir alle schon um 630 aufgestanden, da um 650 bereits sämtliche Decken zur Desinfektion von Piening selbst abgeholt wurden. Bis 90 habe ich nach dem Morgenkaffee noch Eintragungen gemacht; der Dienstplan, den ich inzwischen auch noch abschreiben musste, da nur ein Exemplar davon gesandt worden war, sah von 9-1130 „Formale Ausbildung“, unter Leitung des Hauptwachtmeisters vor. Steibel liess uns auch draussen bis kurz vor 100 herum marschieren; dann wurde eine Frühstücks- oder Cigarettenpause eingelegt; anschliessend haben wir dann, um uns im Nebel erforderliche Bewegung zu verschaffen, Faustball bis 110 gespielt. Ich habe mich dann gleich wieder in die Arbeit gestürzt und alles abgelegt und eingetragen. Nun kann neue Post kommen und Arbeit bringen.

Heute nacht von 1-30 habe ich wieder Wache und werde vielleicht noch einige Zeilen hinzufügen. Einstweilen also Innigst Dein Richard

Schluss.

 

10.12.40 Nachts 130

Mehr als 2 Stunden Schlaf habe ich bisher nicht gehabt; aber der Rest wird nachgeholt nach 30 hoffentlich, vorausgesetzt, dass ich dann gleich einschlafen kann, was bei mir immer ein ziemlich wunder Punkt ist.

Jeden nachmittag habe ich bis 1730 im Telefonzimmer gesessen, da Schwart mich nicht pünktlich ablösen konnte. Inzwischen waren nämlich unsere Schlafdecken zurückgekommen, deren Anzahl genau kontrolliert wurde. Sie stanken noch entsetzlich; wir haben sie noch ½ Stunde in die frische Luft gehängt. Bis gegen 190 habe ich mich dann noch mit spanischen Übersetzungen beschäftigt, bis Bader hereinkam und mich fragte, ob ich an einem warmen „Abendessen“ bestehend aus aufgewärmten Kohl und Kartoffeln, teilnehmen wollte, da sie beide, Bader und Reese, es nicht allein  schaffen könnten. Pappi liess sich nicht lange nötigen und haute rein! Hinterher nach einem kleinen Klöntje mit den beiden, an dem sich auch Schwart beteiligte (die „männliche“ Rettungsstelle nimmt ihre Mahlzeiten stets im Telefonzimmer ein) war es dann auch soweit, mit meinen anderen Kameraden auf unserer Stube die Abendmahlzeit in Form von 5 Scheiben Vollkornbrot fortzusetzen. Danach. Habe ich ja dann mit Dir telefoniert, mein Deern; hoffentlich hast Du Werner bald wieder zur Ruhe bringen können. Nach dem Gespräch wurde ich gleich im Telefonzimmer festgehalten, da Reese gern Schach spielen wollte und Bader, den er dazu aufforderte keine Lust hatte. Drei Partien haben wir gemacht, alle zu meinen Gunsten; angeblich spielt es noch nicht lange: Kurz vor 80 kamen nacheinander die beiden diensttuenden Ärzte angetrudelt: Dr. Bach und Dr. Sappl, beides noch jüngere; den ersteren kenne ich von der Feldstrasse her. Beide waren interessierte Zuschauer, bis sich auch Schwart einfand als dritter Mann zum Skat. Zwischendurch musste Reese einen Korb Flaschenbier besorgen, von dem mir 2 Flaschen zugedeckt waren; aber eine habe ich nur getrunken und mich gegen 1030 verdrückt, da ich ja um 10 wieder hoch musste. Dr. Bach wollte mit mir noch eine Partie machen, aber Reese hatte die Nase voll vom Spiel und seine, Dr. Bachs , Skatplatz nicht einnehmen.

So, mein Medl, das ist der Abriss des gestrigen Abends; ich hoffe Dich zufrieden gestellt zu haben und will jetzt noch ein bischen lesen; zum Spanisch bin ich doch nicht genug ausgeschlafen; das werde ich morgen vormittag von 9-110 auf meiner Telefonwache vornehmen. Inzwischen sei Du, mein Spatzi, herzlichst gegrüsst von Deinen Männe,

der sich schon auf den morgigen Tag freut.

 

12. Dezember 1940

Hamburg-Farmsen, den 12.12.40.

Meine liebe gute Thekla!

Unserem heutigen Telefongespräch habe ich leider entnommen, dass Du wieder einen schweren Tag und eine unruhige Nacht mit Werner hinter Dir hast. Hoffentlich bessert es sich bald mit Werners Erkältung; sonst musst du doch am Dr. Ledermann zu Rate ziehen. Na, hoffentlich sehen wir klarer, wenn Du diese Zeilen zu Bericht bekommst, und das wird wahrscheinlich übermorgen mittag sein, wenn ich wieder fort gehe. In 2 Tagen kann sich ja schon vieles ändern.

Gestern mittag bin ich noch rechtzeitig zum Essen erschienen; es gab Bratwurst, Sauerkohl und Kartoffeln, also mal ein annehmbares Essen; dafür war der heutige „Frass“ wieder um so schlechter: Labskaus mit kleinen, meist unverdaulichen Fleischresten, und Sauerkohl; beides zusammen gemanscht in den üblichen Hunde-und Katzenschüsseln. So nennen wir neuerdings die Emailleschüsseln, worin das Essen auf den Tisch kommt. Der Ausdruck stammt von unseren neuen Ersatzmann Theodor Hansen, ein feiner Kerl, ist Steward auf S/S „New York“ 7 Jahre gewesen, kennt auch Deinen Onkel „Jonny Hansen“ (wie er ihn nennt) und ist ein leiblicher Vetter von ihm! Da staunst Du, wie? Die Welt ist doch klein. Wie die Verwandtschaft nun zusammenhängt, weiss ich noch nicht.

Gestern nachmittag hatte ich Telefonwache von 15-170 ich rief Dich während der Zeit (ca 160) ja auch an. Abends habe ich dann eingegangene Post erledigt und abgelegt. Auch die Anweisung für Frau Fehling ist abgegangen. Ich finde es übrigens allerhand, dass sie heute nochmals angerufen hat. – Nach dem Abendbrot haben wir noch politisiert mit Tetje Hansen, der politisch ein heller Kopf ist; man merkt, dass er viel in der Welt herumgekommen ist und seine Nase überall hineingesteckt hat.

Während der Nachtwache von 3-50 habe ich mal ausnahmsweise kein Spanisch betrieben, sondern einen angefangenen Heftroman zu Ende gelesen.

Heute morgen bin ich von der „formalen Ausbildung“ wieder befreit worden, weil ich zur Kraftfahrbereitschaft wegen der s.zt. zerbrochenen Scheibe am Lastwagen musste, wo abermals darüber ein Protokoll aufgenommenwurde1! Bei Clara  war ich auch vor; sie wird Dich in den nächsten Tagen anrufen.

Für Mutter hat sie eine Vergrösserung von Meta machen lassen; na, sie wird Dir schon Näheres erzählen, vielleicht nimmt sie ja noch den Rahmen dazu; denn irgend etwas sollte noch hinzukommen. – Margrets Uhr habe ich auch geholt; Preis M 1.20.

Grosse Sorge macht mir mein Dir zugedachtes Weihnachtsangebinde; es ist schon so, wie Du sagtest. Man kann laufen von Pontius zu Pilatus, und bekommst überall die gleiche negative Antwort.

Ja, mein Deern, die Hauptsache ist, dass wir uns immer gut verstehen und nach Möglichkeit keine Misstimmung aufkommen lassen; und dass vor allen Dingen die Kinder gesund und mobil sind. Und wenn ich dann auch noch zum 24. Kommen könnte, wäre wohl alles in Lot; aber leider schwebt man in dieser Beziehung noch immer im Ungewissen. „Es heisst“, dass nächsten Woche die Bramfelder hier abgelöst und in ihr altes Quartier nach Bramfeld zurückkommen werden. Wie aber die ganzen Sofort-Kommandos eingeteilt werden, ist noch nicht bekannt. Also abwarten!

Die Uhr geht auf 70 (190). Hoffentlich ist bald der Kaffee fertig; denn mein Magen knurrt schon; trotz der 2 Scheiben Marmeladenbrot heute nachmittag. – Mein Druck auf den Magen hat sich gebessert; ich spüre immer noch die Stelle, besonders nach dem Essen.

Inzwischen sei herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem Richard

 

Heute vormittag, den 13.12. sollten wir Unterricht haben, der aber um 100 abgeblasen wurde. Die heutige Post war sehr umfangreich; ich habe sie eben 1200 erledigt und kann nun auf Urlaub gehen. Hoffentlich ist alles klar bei Euch Dein Männe

 

15. Dezember 1940

Hamburg-Farmsen, den 15. Dez. 40

Meine liebe Thekla!

Ich sitze hier heute nachmittag im Telefonzimmer bei Eisbeinen und will Dir schnell noch ein paar Zeilen senden, die ich in einer Stunde Mutter mitgeben werde.

 

Heute mittag nach dem Essen ist der Befehl herausgekommen, unsere Ablösung betreffend. Wir kommen also am 19. ds nach Rahlstedt, Barsbüttelerstr. 19, und zwar zusammen mit den Gruppen 100, 101 und 102. Jede Gruppe hat 2  Tage Sofortkommando und 4 Tage Bereitschaftsdienst; innerhalb dieser 4 Tage hat man 1 mal 24 Stunden Urlaub von 13-130, und einmal von 13-190 dienstfrei; sodass wir alle 6. Tag Nachturlaub haben und dazwischen einmal nachmittags frei. Das bedeutet also eine Verschlechterung gegenüber unseres jetzigen Dienstes. Gruppe Braun kommt am 19. wieder an ihren alten Platz in Bramfeld.

Nach dem neuen vorliegenden Plan werde ich am 20. (Freitag) nachmittags von 13-190 frei haben, dann Nachturlaub am 23.12. ab 130 bis 24.12. 130, also äusserst ungünstig. Nun ist der „Extra“-Weihnachtsurlaub ja noch nicht heraus; da muss ich abwarten bis Donnerstag, wo ich noch mal mit Dede sprechen werde. – Weiter habe ich am 2. Feiertag von 13-190 frei, am 1. Feiertag aber garnicht. – Nachurlaub dann wieder am Sonntag den 29 ab 130 bis Montag 130 und Neujahr dienstfrei von 13-190.

Das wäre das Kapitel Urlaub und Versetzung! Hier nach Farmsen kommt der Sanitätszug 12/X, der aber mit 3 Gruppen gleiche Diensteinteilung hat wie wir, aber mit dem Urlaub wie bisher jeden 4. Tag ist es auch aus! Man weiss ja nun nicht, was für Wachtmeister in Rahlstedt sind, die muss man erst mal kennen lernen. Hier die beiden Steibel und Schwart kennt man zur Genüge, und Schwart hätte mir auch für den 24. von sich aus Sonderurlaub gegeben, und dies auch bei Steibel für mich evt. durchgesetzt. Nun muss ich meine ganze Hoffnung auf Dede setzen, dass der für mich eine Extrawurst herausholt. Bei meinem gestrigen Besuch bei ihm habe ich ihm einen Brieföffner mit Lupe von Landmann versetzt, worüber er sich sehr freute und der ihm gut zu Pass käme, wie er sagt! Abwaschen und Daumen kneifen. Die Entfernung per Rad nach Rahlstedt ist ungefähr die gleiche wie nach Farmsen; nur die Bahnverbindung ist ja katastrophal! Das war hier ja besser.  

Gestern mittag nach dem Essen fand ich noch Post in Farmsen vor, die ich erst mal beantworten musste; dann rasieren, für Scheibel etwas dienstliches schreiben, und aufs Rad nach dem Pol. Revier 101, nach dort Befehle und Meldungen überbracht; von dort aus bin ich dann schnell noch zum Abschnitt zu Dede gefahren. Als ich zurückkam, war es bald Abendbrotzeit.

Veränderungen hat es inzwischen hier auch gegeben. Oldenburg ist als Turm-Wächter nach Bramfeld versetzt, wo er auf dem Kirchturm die Feuer-Wache hat. Als Ersatz dafür haben wir einen frisch-eingezogenen Jüngling von 38 Jahren bekommen, de stets ein weinerliches Gesicht macht, Buchhalter bei der GEG war und nebenbei Opernsänger werden will. Er nimmt Unterricht, 5x die Woche zu M 80.- im Monat! Er ist seelisch vollkommen herunter, wie er sagt.

Heute morgen habe ich Post geschrieben und abgelegt und 2 Partien Mühle mit dem Neuling gespielt. Heute mittag gab es Schweinebraten, Rotkohl und Nachtisch. Zum ersten Mal hat das Essen gut geschmeckt.

Entschuldige die eilige Schrift mit einer fremden dicken Feder, aber ich muss Schluss machen, um Mutter am Bahnhof nicht zu verpassen.

Heute Nacht habe ich wieder Wache von 1-30 wahrscheinlich; aber ich wünsche Euch Allen eine gute Nacht, geruhig und kräftigend.

Morgen wecke ich so zwischendurch mal wieder an. Inzwischen sei Du und die Kinder herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem stets an Dich denkenden Richard

 

Der Zettel wegen der Notiz wegen Frau Busse´s Rechnung über Elektrizität fand sich in meiner Mappe.

 

22. Dezember 1940

Hamburg-Wandsbek, den 22.12.40.

Meine liebe gute Thekla!

Nun bin ich seit 7 Stunden hier in der Feldstrasse in unserem „wunderschönen“ Quartier. Ich muss sagen, dass ich einen solch trostlosen Sonntag bisher nicht erlebt habe.

Als ich 5 Minuten nach 120 bei Witten ankam, hiess es, dass das Essen eine ¼ Stunde später stattfinden würde. In der Feldstrasse angekommen, wurde mir auf dem Telefonzimmer der Bescheid, dass ich sofort in die Goethe-Schule kommen sollte „für Blankenburg“! Und dabei ist Blankenburg garnicht in der Goethe-Schule, sondern hier in der Feldstrasse in Gruppe B (ich bin in A)

Na, allmählich wird man ja dickfällig; erst mal Essen gehen zu Witten, das andere findet sich dann. Nach dem Essen bin ich dann, wie ich Dir bereits am Telefon sagte, auf eigene Faust zum Abschnitt gegangen, da auch Jenfeldt mir keine weitere Auskunft erteilen konnte.

Auf dem Abschnitt habe ich ausführlich mit Hptwachtmstr Dede und mit Siede gesprochen mit dem Ergebnis, dass ich doch hier bleibe, was ich aus dem Grunde gern wollte, um den Weihnachtsabend mit Euch zu verbringen, was mir anderswo nicht möglich gewesen wäre. Sonst wäre es mir einerlei gewesen, denn die Goetheschule kenne ich ja und das Sofortkommando in der Kurzen Reihe kenne ich ja auch. Der Eindruck meiner Unterkunft hier ist für einen Neuling ziemlich trostlos; es mag ja sein, dass man sich daran gewöhnt, die Scheiben im Treppenhaus blau bemalt, die Aborte halb draussen auf dem Hof! Ausserdem waren heute nachmittag wenig Leute hier; von unseren 10 Mann ist einer abkommandiert zu einem anderen Abschnitt, einer war auf Tannenbaumsuche, zwei gingen 50 ins Kino (Trenck der Pandur!), vier Mann hielten Mittagsschlaf; zwei waren im Telefonzimmer, sodass ich mich mit dem Fahrer allein heute nachmittag im Tagesraum befand. Est habe ich Leitungskabel aus Pappe für Klaus Eisenbahn geklebt und nachher gelesen.

Ein kleines Weihnachtspäckchen habe ich auch noch bekommen enthaltend eine Zeitschrift, ein kleines Büchlein mit Erzählungen und 10 Cigaretten, überreicht im Auftrage des Abschnitts X!

Meine Gedanken sind stets bei Dir, mein Deern, hoffentlich schaffst Du alles. Ob ich morgen kommen kann, bezweifle ich sehr, falls wir Dienst haben sollten; ansonsten werde ich natürlich zur Stelle sein. Falls ich morgen nicht kommen kann, werde ich auf jeden Fall versuchen, am 24. schon eher als 1-1 ½0 zu erscheinen. Ich werde ja morgen noch mit Dir telefonieren, mein Spatzi!

Es ist jetzt ½ 80; Abendbrot habe ich bereit um ¼ vor 60 als der heisse Kaffee kam, der von Witten geholt werden muss. Ausgerechnet habe ich nur Feinbrot bekommen, wo ich erst nur Schwarzbrot abends esse. Den Sonntags-Nachmittagskaffee habe ich mir mal wieder an den Hut gesteckt; den Kuchen werde ich morgen früh verdrücken.

Morgen nacht werde ich wohl Wache auf dem Abschnitt im Eichtalpark haben; es befindet sich aber eine geheizte Unterkunft dort für die jeweils 3 Wachhabenden, die sich alle 2 Stunden ablösen, sodass jeder einmal 2 und einmal 1 ½ Stunden herankommt, Beginn abends um 90; Schluss um 70 morgens.   

Ich will für heute auch erstmal Schluss machen, mein Spatschi! Schlaf recht wohl und ungestört und sei einstweilen innigst gegrüsst und umarmt von Deinem stets nur Dich liebenden Richard

Diese beiden Bestellscheine des Haupternährungsamtes Hamburg (HEA Hamburg) für jeweils 187,5 g Schweineschlachtfett lagen den Briefen bei. Eingelöst wurden sie nicht.
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Kriegstagebuch eines unbekanntes Verfassers beim RAD 5/312 (April bis Dezember 1941)

Der unbekannte Tagebuchschreiber ist am 2. April 1941 in Bremen-Lesum in den Reichsarbeitsdienst eingetreten. Nach einer kurzen Grundausbildung fand die Vereidigung am 20. April 1941 statt. Anschließend kam er dann zur Abteilung 5/312 in Polen in die Nähe der damaligen russischen Grenze bei Brest. Bei seinem ersten Einsatz musste er beim Bau eines Knüppeldamms helfen. Am 21. Juni 1941 – dem Tag vor Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion – hat er dann Munition empfangen. Dies zeigt, dass der RAD auch militärisch hinter den Truppen der Wehrmacht tätig war! Unser unbekannter Schreiber war also ab dem ersten Tag am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt. In den folgenden Monaten bis November 1941 war er mit seiner Einheit, wohl einer Radfahrtruppe, bis in die heutige Ukraine unterwegs. Während dieser Zeit war er an Bauarbeiten, wie z.B. dem Bau von Knüppeldämmen oder der Entschlammung von Straße beteiligt. Auch berichtet er, wie er auf Menschen geschossen hat.

Wohl am 4. November 1941 erreichte ihn der Rückmarschbefehl. Am 16. November begann die Rückfahrt per Bahn ab Orel mit einem elftägigem Aufenthalt in einer Kaserne bei Gomel. Am 1. Dezember wurde die Einheit dann in Gomel per Bahn auf die Rückreise geschickt. Unser unbekannter Schreiber kam am  12. Dezember 1941 in Bremen an. Damit endet auch das Tagebuch.

Das Kriegstagebuch selbst liegt nicht handschriftlich, sondern in einer maschinengetippten Version im Umfang von sechs DIN A4-Seiten vor. Wer wann diese Abschrift angefertigt hat, ist nicht vermerkt. Der Name des Verfassers wird nicht erwähnt.

Reichsarbeitsdienst.

Eingetreten am 2. April 1941 in Bremen-Lesum.

Vereidigung am 20. April.

Nach Ansprache des Generalarbeitsführers Blank Einsatz unserer Abt. ab 17 [Uhr] truppweise verteilt auf Abteilungen vom Gau 31 in Polen. Abfahrt nach Polen am 11. [Juni] über Berlin Warschau und Siedlce nach Biala Podlaska. Dort Ausladung und Marsch nach Plebanska 5 km von B.P. [Biala Podlaska] entfernt. Hier in die Abteilung 5/312 und gleich am nächsten Tag zum Einsatz an einem Knüppeldamm. Länge 1,1 km. Zwischendurch Empfang und Ausbildung mit der Waffe.

Am 21.6. höchste Aufregung. Munitionsempfang.

22.6. Morgens 5 Uhr wüstes Geknalle. Alles wacht auf. Gasmaskenempfang. Gegen 10 Uhr Abrücken. Die ersten russischen Flieger erscheinen, alles liegt flach. Unzählige Abschüsse. Russischer Fliegerleutnant erschiesst sich, als wir ihn gefangen nehmen wollen. Das erste Grab. Man schläft gut. (Friedhof)

23.6. Wecken 3 Uhr. Per Rad durch unzählige Kraftfahrkolonnen über die Eisenbahnbrücke bei Brest. Der erste Verwundete. Steckschuss im Bein. Schützenlinie hinter dem Bahndamm. Willi Loithmann fällt bei den Fahrrädern. Zurück nach Cerny, dort hundemüde ins Zelt.

24.6. 8 Uhr Aufbruch. Richtung Zalinska, Einsatz an der Strasse. Der erste Sonnenstich: Döll. Guter Schlaf.

25.6. 60 km sollen gefahren werden. In elender Sandwüste nur Schieben möglich. Der erste russische zerstörte Tank. Die Schinderei hat abends 9 Uhr ein Ende. 60 Mann sind ausgefallen.

26.6. Wir beobachten Luftkampf zwischen Messerschmitts und russischen Fliegern, die sich deutsche Hoheitszeichen angemalt haben. Alle sechs werden abgeschossen. Ein Fallschirm öffnet sich nicht.

27.6. Morgens um 6 Uhr Einsatz: Bau einer neuen 15t Brücke. Ich schleppe Bretter und Baumstämnme. Von Ferne das Donnern der Front.

28.6. Ruhe: Gewehrreinigen, Wäsche usw. in Sielec. Doppelposten wegen Heckenschützen.

29.6. 2,30 Uhr Wecken. Marsch nach Kosow. Man merkt schon mehr vom russischen Rückzug: Patronen, Mg’s, Kartuschen, Autos, dicke Geschütze aber auch deutsche Tote bedecken das Gelände, Quartier auf einem Friedhof. Sehr schöne Kirche. Stadt fast ganz zerschossen.

30.6. 2 Stunden: Alarm: Habe kein Auge zugetan‚ da ich Wache hatte. Abmarsch in die Nacht hinein, nach fluchwörterreichem Durcheinander im Dunkel[.] Pionierbatallion braucht uns. Ich falle morgens aus: Gabelbruch. Dolle Erlebnisse mit Heinz Kiehle. Wir erschiessen den ersten Russen beim Fluchtversuch. Kommen Mittags hundemüde auf einem alten, zerschossenen polnischen Schloss an. Bauen Zelte, legen uns lang. Alarm: Wir reissen die Zelte wieder ab, sollen Pionierbattallion rausschlagen.

31.7. Marschieren die ganze Nacht hindurch. Beschuss von hinten und von vorn. Unsere Mg´s schiessen wieder. Liegen 2 Stunden auf demselben Fleck. Leuchtkugeln und Geschützfeuer in der Nähe. Erreichen Slonim. Panzer hielten uns für Russen. Machen Quartier und pennen. Radieschen finden wir. Kolonnen fahren auf der Strasse, Wir schlafen in Alarmbereitschaft. Aber es geschieht nichts.

2.7. Wir reiten die laue Tour. Am Abend Abfahrt nach Albertin[,] sind aber nur 6 km. Müssen den Pionieren beim Bau einer Brücke helfen, Zur Abwechslung einmal Nachtarbeit.

3.7. Gegen Morgen ist die Brücke fertig. Wir rollen ab. Nachmittags, nach dem Erholungsschlaf, wird gebadet.

4.7. Grosse Hetzerei heute Morgen. 20 km durch Regen, Wald und Sand. Todmüde.

5.7. Früher Aufbruch von Tzeagkowichet. Gute Strasse. Schneller Vormarsch[,] da viele Russen überlaufen. Viel Durst. Zielort Hruskowo 60 km.

6.7. Jawohl um2Uhr nix wie raus. Ab. Zwischendurch Arbeitseinsatz. Man kann sich aber auch hinter ein Getreidefeld legen und schlafen. Um 8 Uhr Arbeit beendet, es geht noch 60 km weiter. Zuletzt noch Schieben: Sand.

Dazu 3 Scheiben Brot. In Swierzen Zeltebau.

7.7. 6 Uhr Wecken, Fahrradreinigen usw. keine Post. Wir sind an der Grenze Polen – Russland. Die grosse Pleite: Einsatz nach Mittag. Wir schleppen Bohlen aus einem Sägewerk. Abends sieben Säcke Post. Man lebt gut.

7.8. 2 Uhr Wecken. Ziel Simineowice. Affenfahrt über sehr schlechte Strasse. Poln.-Russ. Grenze überschritten. Falle bald mit Egon Meyer aus. Durst. 10 Mann vom ersten Zug erreichen das Ziel. Acht Säcke Post werden verteilt. Arbeit fällt aus.

9.7. Wir leben von Paketen. Mittags geht es unerwartet weiter bis Saack. Dies verdammte Pflaster, man kann kaum noch auf dem Rade sitzen. Unterwegs sehen wir ein ulkiges Bild. Ein russischer Soldat fährt auf einem ebenso schmutzigen und drolligen Traktor ein deutsches Geschütz. Wir übernachten auf einer sumpfigen Wiese, auf der sich die Mücken von ganz Russland ein Freudenfest geben, so scheint es uns. Kein Mensch schläft. Man haut bis 2 Uhr um sich.

10.7. Dann geht es weiter. Wir erreichen Dojnewa. Grosses Reinigen. Unterwegs Luftangriff: Volle Deckung.

11.7. Morgens Zeugdienst, mittags natürlich wieder Alarm , wie die Irren ab. Gegen 12 Uhr nachts am Ziel nach endloser Schieberei. Zelten.

12.7. 3 Uhr los. Wir sehen deutlich die Spuren des Kampfes. Auf der erfolgreichen Suche nach Wasser fahre ich platt. Erreichen dann aber endlich Polotino bei Beresino. Ungeheure Ausfälle.

13.7. Endlich mal wieder vernünftig Waschen. Einsatz an der grossen Beresinabrücke. Etwas eher als gewöhnlich Arbeitsschluss: Löhnung, Baden.

14.7. Grosser Einsatz.

15.7. Einsatz mit Fahrradputzen.

16.7. Früher Aufbruch. 90 km in Aussicht. Wegen Russendurchbruch anderes Ziel: Zababy. Fahre natürlich platt. Dann Lenkerbruch. Prost. Komme nachts ans Ziel.

17.7. Schlafen endlich mal bis 9 Uhr. Fahren dann 50 km nach Süden Ziel Dubrowo. Unterwegs Arbeitseinsatz. Am Ziel gibt sich ein Haufen Russen gefangen. Arbeitseinsatz.

18.7. 7 Uhr Wecken ab. Arbeitseinsatz unterwegs . 1. Zug baut Brücke. Müssen den anderen Zügen natürlich helfen[,] die Trottel werden nicht fertig. Abends 10 Uhr am Ziel. Zwischendurch noch ’n paar Häuser zerlegt. Erledigt.

19.7. Wecken 7 Uhr, ab nach Stary Bischoff. Zuerst viel Geschiebe. Kommen durch St. B. [Stary Bischoff] vollkommen zerstört. Treffe Bremer Flak. Ein russischer Flieger wagt es in 50 m Höhe über unsere Köpfe hinzukriechen. Unser Gewehrfeuer geht daneben, er verzieht sich mit beneidenswertem Selbstbewusstsein. Wir müssen noch 15 km weiter, bis an den Dnjipr. Auf allen Vieren in die Zelte.

20.7. Arbeitseinsatz : Brückenanfahrt und Knüppeldamm. Egon Meyer geht ins Lazarett. Nachmittags etwas Ruhe. Zeugdienst.

21.7. 7 Uhr Wecken. Wir sehen nachts Artilleriefeuer und Brände. Fahren 8 km zurück nach Mokroje an der Bahnlinie. Man fängt allmählich an, sich selbst zu verpflegen.

22.7. 7 Uhr Wecken. Russen lassen sich mal wieder sehen. Wir hören[,] dass wir von drei Seiten umschlossen sind. Abends gibt es Schokolade für die Arbeit an der Beresina. Grossreinemachen.

23.7. Anständiger legen. Wir spenden 16 Rmk. für die Einnahme von Moskau.

24.7. Es giesst aus den Wolken[,] wir nehmen in unseren Zelten ein Sitzbad. Apell, Apell, und nochmals Apell.

25.7. Wir beeilen uns mit dem Bau von Zeltgräben , sonst müssen wir schwimmen. Es gibt einen Sack Post.

26.7. Heute mal zur Abwechslung Ordnungsdienst: „Ehrenbezeigung durch erheben der rechten Hand im Gleichschritt – Marsch!“ Gewehrreinigen.

27.7. Wieder Ordnungsdienst, diesmal mit Knalleinlage, von oben natürlich. Wir müssen Feldwache Tag und Nacht aufstellen, es wird brenzlicher. Nebenbei mal „Singen“.

28.7. Ordnungsdienst. Abends Post, wird bei Kerzenschein gelesen.

29.7. Baustellendienst an einer weit entfernten Strasse, habe Wache und bleibe deshalb im Lager. Koche mir Kartoffeln von Wassersuppe allein kann man nicht leben. Unser Tross erreicht uns zum ersten Mal seit Polen. Abends auch Kartoffeln. Kein Brot.

30.7. Wieder Baustelle. Haus abgebrochen für Knüppeldamm. Wieder Kartoffeln.

31.7. Wieder Knüppeldamm. Abends wenig Post. Stahlhelmempfang.

1.8. Wir bleiben im Lager: Apelle. Dafür kommt abends der Knall: Abfahrt im Dunklen 25 km. Ziel Maninka. Kommen morgens erschöpft an[.] Liege die halbe Nacht noch im feuchten Gras. Es knallt wie toll um uns.

2.8. 11 Uhr Wecken. Denselben Tag gibt es noch russisches Bier. Es knallt ganz laut zum zweiten Mal in dieser Woche: Wir marschieren denselben Weg wieder zurück[,] den, wir in der Nacht gekommen sind, Regengüsse begleiten unseren aufgeweichten Weg. Zielort noch 15 km weiter: Dabuscha. Hinein in die Klappe.

3.8. 50 km weiter nach Gishuja. Heut zur Abwechslung mal: Kampf dem Morast. Seit Stary Bischoff scheinen sich Läuse in unserer Abteilung zu befinden. Wer Hunger hat[,] muss was essen; also ruck zuck und weg war das Brot.

4.8. 25 km bis Glin gefahren. Gute Fahrt. Leute dort sehr freundlich, es gibt Eier und Milch. Aepfel nicht zu vergessen. Auch Schokolade wird verteilt. Gute Verpflegung. Fahrräder müssen natürlich schon wieder gestriegelt werden.

5.8. Morgens grosse Wäsche, nachmittags leichte Arbeit.

6.8. Einsatz an einer Brücke, Nachmittags Rück[k]ehr. Abends plötzli[ch] „Fertigmachen mit Stahlhelm“. Wir fahren 15 km bis an den Schosch: Nachteinsatz. Unser Erscheinen löst wildes Gewehr- und Geschützfeuer auf der Gegenseite aus. Wir ziehen uns hinter Häuser zurück. Ich esse erst mal Abendbrot. Wir ziehen uns siegreich zurück. Und kommen nach für uns siegreich verlaufenem Fliegerangriff um 24 Uhr im Quartier an.

7.8. Morgens wieder Brückeneinsatz. Mittags Abfahrt zum Schosch. Legen uns hinter eine Schnapsfabrik in Deckung. Neben uns bekommt ein Panjehaus Volltreffer. Geht in Flammen auf. Genaues Artilleriefeuer zwingt uns beim ersten Versuch zum Rückmarsch. Nach 2 Stunden gelingt es uns an die Brücke heranzukommen und die Abfahrt zu vollenden. Es regnet stark, noch mehrmals müssen wir hinein in den Dreck, Schlafen in einem verlassenen Panjehaus.

8.8. 5 Uhr Wecken Abfahrt nach Glin zurück. Bis Mittag geschlafen. Grossreinemachen.

9.8. Ruhiger Tag. Nur Apelle.

10.8. Neue Baustelle. Sumpfloch wird mit Knüppeldamm ausgebessert. Eine Tafel Schokolade bekommt jeder am Abend.

11.8. Arbeit nach unserer Meinung überhaupt nicht wichtig. Kein deutscher Soldat ist hier vorbeigekommen. Murkserei. Trotzdem lange Arbeitszeit.

12.8. Am Schosch schon um 3 Uhr Kreide gekratzt. Mittags zu aller Entsetzen andere Baustelle. Brücke. Abends im Dunklen nach Haus geschoben.

13.8. 8 Uhr raus es geht weiter nach Tscherikoff. Elend langer Weg zur Baustelle. Bauen Abfahrt von einem Riesendamm. Vorsicht Blindgänger und Minen.

14.8. Um 3 Uhr raus, weil die Brücke fertig muss. Mittags geschafft, Nachmittags Wäsche. Aus.

15.8. 3,30 Abfahrt über Tscherikoff nach Sjabenij. Fahrt durch nur Wald. Roter Kommissar erschossen.

16.8. 6 Uhr Wecken. Es kracht wieder einmal hörbar im Gebälk einiger Führer: Wir fahren die Strecke bis Tscherikoff zurück. Fahre platt[.] Noch weiter nach Propojsk. Kriege die Abteilung aber wieder. Wir sehen viel zurückgelassenes Kriegsgerät. Wir zelten in einem Obstgarten[.]

17.8. Fahren ganz früh ab auf einer Schotterstrasse in Richtung Tschetschersk. falle bald aus. Versuche mit Wehrmachtswagen nachzukommen. Gelingt nicht. Uebernachte bei einer anderen Abteilung. Sämtliche Führer ausgefallen.

18.8 .Breche extra früh auf, dass ich die Abteilung erreiche. Als ich ankomme (Theater mit Klavier) will die Abteilung gerade wieder losfahren. Ich flicke wie ein Irrsinniger und rase hinterher. Schinderei. Zum Glück nur 10 km. Nach 1 km platt. Ich schiebe den Rest. Halleluja. Es wird schon Dunkel, als ich da bin. Umwege!

19.8. Frühe Abfahrt nach dem 30 km entfernten Bopowka. Neblig. Ueberraschend schnelle Fahrt zum grössten Teil auf Backsteinstrasse. Vor Gomel. Quartier in Zelten. Abends brennt Gomel. Bei der Löhnung Fliegerdeckung.

20.8. Fahren in Richtung Gomel zur Baustelle. Strassendurchlass auffüllen, mit Sand. In 100 m Strasse 8 abgeschossene Panzer. Gestern wurde hier noch gekämpft. Vorsicht Minen. Bei der Arbeit explodiert eine. 1,30 Uhr Mittag im Lager.

21.8. Nachts Alarmbereitschaft. Wecken 6 Uhr. Erst nach Mittag Abrücken nach Scherstin 20 km weiter. Abends Post.

22.8. Nachts Alarm. Packen im Stockdunkel. Nachtmarsch. Wir müssen schnell über eine Brücke. Warten aber 4 Stunden morgens auf den Uebergang. Auf der Rast bieten uns die Ukrainer Mais, Gurken und Wurzeln an. Wird dankbar angenommen, da unsere Küche stecken geblieben ist. Zwischendurch Arbeitseinsatz.

23.8. Morgens 10 km Weiterfahrt. Zurück bis zum letzten Mittagsort. Regen. Verpflegung: Aepfel, Gurken, Kartoffeln. Post.

24.8. Gegen Mittag Weiterfahrt 12 km. Dort Zeltbau. Verpflegung: Kartoffeln. Wache!

25.8. Wir holen mal Sonntag nach, Selbstverpflegung. Reinigen. Armbinden werden wieder verteilt.

26.8. Wir fahren weiter nach Antonowka. Passieren eine Eisenbahnlinie[.] Zelten.

27.8. Allgemeines Kochverbot. Grosse Wäsche. Gewehrreinigen. Milch wird organisiert, Birnen.

28.8. Abfahrt mit unbekanntem Ziel auf Rollbahn in Richtung Kiew. Minen. Wir warten unterwegs auf weitere Befehle, Lager auf einem Friedhof. Selbstverpflegung: Kartoffeln, Birnen.

29.8. Baustelle. Man stützt sich auf die Schaufel. Einige spielen Gärtner, Nachmittags Rück[k]ehr ins Lager. Man spricht[,] wir sollen nach Smolensk. Zu einem Panzerkorps. Kartoffeln.

30.8. Morgens Bratkartoffeln. 1. und 2. Zug morgens zur „Arbeit“. Abend wieder Kartoffeln.

31.8. Heute Morgen gehts los: Nördlich nach Smolensk. Rollbahn mit Schotter. Erreichen abends nach endloser Fahrt Gomel. Dort Quartier in einem Obstgarten. Auf der Rückfahrt zieht eine ganze Infanteriedivision an uns vorbei (Berliner). Zerstörungen an der Strasse.

1.9. Aenderung des Marschbefehls, es geht nach Osten. Sand!

2.9. Abfahrt nach Korop. Quartier bei einer Kirche. Platzregen.

3.9. Noch 30 km weiter nach Starodub. Arbeitsführer: Am 1. November seid ihr zu Hause. Wir trocknen unser klitschenasses Zeug in den Panjehäusern.

4.9. Späteres Wecken. Bekommen unsere Geräte wieder. Vorkommando unter Ivo fährt los. Gewehrreinigen.

5.8. Nach kurzer Fahrt Brückenbau. Viel Aepfel, Später Strassenentschlammung. Nasse Füsse. Gutes Quartier.

6.9. Wieder Einsatz auf der Strasse, Nachmittags Abfahrt nach Tscheikin. Quartier in einer Scheune.

7.9. Reinigungstag. Scheune zieht des nachts fürchterlich.

8.9 Arbeitseinsatz. Fällt für mich aus. da ich Wache habe. Ich werde mal wieder satt.

9.9. Auf der Baustelle haut mir so ein Esel einen Baumstamm auf die Schulter. Ich mache mir deshalb einen ruhigen Tag. Wir sehen den Abschuss von 5 russischen Flugzeugen, die vorher Flugblätter abgeworfen hatten. Täger fährt vorbei.

10.9. Ich mache heute blau. Gehe nicht mit zur Baustelle. Theater mit dem Heilgehilfen. „Anstrengender Küchendienst“ im Lager.

11.9. Nochmals ganze Ruhe für mich. Platzregen, Scheune hält nicht dicht.

12.9. Morgens Brief geschrieben im Panjehaus. Nachmittags Grossreinemachen. Apell in Unterhose. Nachmittags „Entlassungssingen“.

13.9. Wieder Apelle.

14.9. Neue Baustelle. Lange Fahrt. Knüppeldamm. Raserei nach Hause.

15.9. Nochmals Baustelle, und nachmittags Fertigmachen zur Weiterfahrt.

16.9. Abfahrt nach Adejewka. Gute Fahrt. Unterwegs Fliegeralarm. Unbequemes Quartier im ersten Stock eines Kollektivhofes. Treffen viele andere RAD-Abteilungen.

17.9. Weiterfahrt durch Regen nach unbekannten Ziel. In Obolonje Zieländerung von Süd nach Nordwest. Ziel : Sosnitza. Furchtbare Schinderei gegen den Wind. Ufm. [Unterfeldmeister] Ivo wirft mehrmals vor Wut seine Karre in den Dreck. Ueberholen aber wie Verrückte eine andere Abteilung[.] Unterkunft in einem Gerichtsgebäude.

18.9. Arbeitseinsatz bei Ufm.[Unterfeldmeister] Ivo. Muss Holz organisieren. Prima Reibekuchen.

19.9. Rückfahrt über Obolonje, dann über die Dessna, Ziel Baturin. Hier Bombenangriff ganz in unserer Nähe. Tote unter der ZiviIbevölkeru[ng.]

In den nächsten 14 Tagen Arbeitseinsatz für einen Knüppeldamm. Ich schlage Holz. Es wird schon recht kalt. Gute Verpflegung. Front sehr weit entfernt.

Weiterfahrt zu einem unbekannten Ort. Hier nehmen wir das erste Privatquartier. Lubjanka

Morgens frühe Weiterfahrt nach Gluchow. Wegen schlechtem Wetter Ziel nicht erreicht. Uebernachten in einer Fabrik. Morgens die ersten Schneefälle. Weiterfahrt bis Gluchow, über eine Behelfsbrücke. Liegen neben dem Stabsquartier von Guderian. Hier Arbeitseinsatz, Brückenbau.

1.10. Mittags Weiterfahrt bis in die Nacht ungeheure Strecke. Uebernachtung in einer Schule mit Panzern. Habe Wache.

2.10. Habe frei wegen Wache. Bekomme Eier. Fahren aber mittags schon weiter bis 5 km vor Sewsk beim Flugplatz. Uebernachten hier im Kollektiv. Auf der Fahrt versuchen uns zwei Bomber anzugreifen. Im Tiefflug wird der eine getroffen und stürzt 200 m von uns ab.

3.10. Rückfahrt zu einem Dorf (25 km zurück). Hier Arbeitseinsatz an einem Knüppeldamm. Liegen hier 3 Tage. Am 5. Okt. der unerwartete Kosakenüberfall bei der Arbeit. Es geht aber noch mal gut aus. Die Knarre raucht. Während der Nacht Alarmbereitschaft. Tolles Schiessen mit Mg.

6.10. Abmarsch mit Arbeitseinsatz zum Kollektivhof zurück. Wieder sehen wir einige Abschüsse.

7.10. Abmarsch über Sewsk. Kommen ganz schlecht vorwärts. Regen, Schnee, Hagel. Erreichen eine Ortschaft mit ungeheuer luftscheuer Bevölkerung. Hier 4 Tage „Schlammschippen“. Dauernde Luftangriffe.

11.10. Ausrücken zur Arbeit bei 5 Grad Kälte nur mit Geräten. Wir marschieren 20 km weiter nach vorn. Ungeheurer Schneesturm. Erreichen Wolubujewo. Haben hier 5 Tage schwere Arbeit bei starker Kälte. Vormarsch stockt gewaltig. Selbstverpflegung. Dauernd Fliegerangriffe. Vom Tross 2 Verwundete, 2 tote Pferde. Tross bring unsere Sachen nach. Die Hälfte fehlt.

19.10. Versuch eines Vormarsches misslingt kläglich . Wir schaffen mit unseren Wagen 800 m. Uebernachten im nächsten Ort.

20.10. Auch der nächste Tag bringt einen Misserfolg. Wir schaffen die gleiche Strecke und übernachten im selben Dorf.

21.10. Endlich entschliessen sich die Führer ohne Wagen zu arbeiten. Wir hauen auf eigene Faust ab. Spät am Abend erreichen wir einen Ort vor Kromy und bleiben hier. Die meisten haben Zugmaschinen und Panjewagen benutzt. Hier liegen wir 4 Tage, haben nur mässig Dienst und besorgen uns die besten Sachen zu essen: Honig, Butter, Eier, Milch. Ein Schuss = Zwei Gänse.

25.10. Abmarsch nach Orel. Obgleich die Strasse einigermassen fahrba[r] ist, fährt man am besten mit einem leeren Wehrmachtswagen. Ausserdem geht das auch wesentlich schneller. In Orel Einsatz mit Stalinwagen. Strassenausbesserungsarbeiten. Entlausung: Gott sei Dank. Viel Post.

28.10. Aufbruch nach Woin ein Ort 7 km vor Mzensk. Fahre mal wieder platt. Bleibe mit Bormann zurück. Uebernachte mit Panzern in einem verlassenen und zerschossenen Panjehaus. Morgens Weiterfahrt bis Mzensk. Immer noch nicht bei der Abteilung. Nehmen dort Privatquartier[.] Ergattern fabelhafte Konfitüre! Fahren am nächsten Morgen wieder zurüc[k] und finden endlich unsere Abteilung. Bei Mzensk notgelandete He 111 [Heinkel 111].

Hier Arbeit an Knüppeldämmen. Anmarschweg immer mehrer Kilometer. Der Rückmarschbefehl erreicht uns am 4. Okt. [evtl. Fehler des Verfassers: 4. Nov.?]. Wir fahren eiligst mit Kraftfahrzeugen der Pioniere nach Orel zurück. Beziehen dort Quartier und warten 2 Wochen auf das Verladen. Nebenbei Zeugdienst und wenig Einsatz. Wir Baden mal wieder. Einige Fahrräder brennen bei einem Benzinbrand auf.

16.11. Nächtliche Verladung auf dem Bahnhof in Orel in russische Waggons (65 Mann in einen russischen „Salonwagen“). In Dobrudscha vier Tage Aufenthalt wegen Maschinenschaden. Keine Verpflegung. 5 km vor Gomel nächtliches Ausladen ohne Rampe! Anschliessend Nachtmarsch mit Affen und Rad zu einer russischen Kaserne 30 km. Hier bleiben wir vom 21. Novemb. bis zum 31. liegen. Ordnungsdienst usw. Friedensbetrieb.

1.12. Letzte Radfahrt nach Gomel, dort Entlausung. In einem entlausten Quartier geschlafen. Auf letzter Fahrt Pedale gebrochen. Lenker wackelt. Morgens Verladung in deutsche Eisenbahnwaggons. Mittags Abfahrt in Richtung Minsk, Ich treffe Täger. Wir liegen mit. 35 Mann in einem deutschen Waggon.

Fahrtstrecke: Minsk, Baranowitschi‚ Brest, Lukow, Warschau.

Hier haben einen halben Tag Aufenthalt, ich esse für 30 Mark Abendbrot[.]

Abends Weiterfahrt; am 5.Dez. Ostrowo, Lissa, Glogau, Kottbus, Torgau, Halle, Erfurt, Fulda, Hanau, Worms, Kaiserslautern. Hier wird der Zug geteilt. Dann Weiterfahrt nach Rehweiler. Ankunft am 7. Sonntags. Herzlicher Empfang. Allmähliche Auskleidung. Der General hält Abschiedsrede. Am 12. Dez. morgens 6,13 verlasse ich den Ort Rehweiler, fahre bis Kaiserslautern.

Von dort im D-Zug Paris – Berlin bis Frankfurt. Hier 2 1/[2] Stunden Mittag. Dann D-Zug bis Hannover und Umsteigen bis Bremen.

Ankunft 11,15 Uhr in Bremen Hbf.

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Feldpostbrief von Rudolf an seinen Vater (25. Februar 1944)

In dem einzigen mir vorliegenden Feldpostbrief von Rudolf an seinen Vater äußerst der Verfasser eindeutig Kritik am Krieg – Er bezeichnet das alles als „Mist“.

Über den Verfasser und den Empfänger wissen wir nichts außer dem, was im Brief zu lesen ist. Weder Einheit noch Feldpostnummer sind überliefert.

Feldpostbrief von Rudolf an seinen Vater vom 25. Februar 1944

Russland, 25.2.43.

Lieber Vater!

Habe deinen lieben Brief vom 13.2. erhalten, und sage dir meinen besten Dank. Und von den schönen Bilde zu sprechen, es geht alles vorüber es geht alles vorbei. Kommentar überflüssig, da brauchen wir uns wohl nicht darüber zu unterhalten. Und Hansi hat auch sein Zeugnis erhalten, und Singen gut bekommen. Das ist ja sein bestes Fach. Na es ist ja auch egal. Und jetzt musst du schon Papier aus den Block nehmen. Na das ist ja auch egal. Deshalb geht aber der Krieg doch weiter. Aber wir wollen das beste hoffen, lieber Vater. Hoffentlich hat der Mist bald ein Eden. Damit man wieder nach Hause kommen kann. Und Fischer ist auf Urlaub, und ist noch in Frankreich. Ja manch einer hat gewaltiges Glück. Aber wir können ja nichts daran ändern. Man muß eben aus halten, und zusehen das alles gut an einem vorüber ziehen tut. Und das ist ja auch die Hauptsache. Und dann lieber Vater grüße man folgende Arbeitskameraden recht schön von mir, Hebelschorse, Richard Uelger, Albin Fritsche Karl Kromberg. An Richard Uelger habe ich auch heute eine Karte geschrieben. Liebe Eltern nun seid herzlich gegrüßt von Euern lieben Sohn Rudolf

Schreib bald mal wieder!

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Feldpostbriefe des Gefreiten Lages an seinen Sohn Hans Joachim Lages in Braunschweig (April-Juni 1944)

Über den Soldaten Gefreiter Lages ist bisher nichts Genaues bekannt. Die Feldpostnummer 01758 gehörte bis zum 30.12.1943 zum Regimentsstab des Grenadier-Regiments 252. Das Regiment wurde am 2. November 1943 aufgelöst, der Regimentsstab und das II. Bataillon kamen zur Divisionsgruppe 321 und zum Grenadier-Regiment 255. Zu welcher Einheit die Feldpostnummer 01758 dann 1944 gehörte, ließ sich bisher nicht herausfinden.

Vier Feldpostbriefe des Gefreiten Lages an seinen Sohn Hans Joachim Lages sind überliefert. Familie Lages wohnte in der Ottweilerstraße 125 in Braunschweig. 

Feldpostbriefe des Gefreiten Lages an seinen Sohn Hans Joachim Lages

Den 29/4.44.

Mein lieber Hanni!

Was machst du noch, alles gesund und munter! Wie Mutti mir geschrieben hat, unterstützt du ja Mutti mit allen Kräften bei der Arbeit im Garten. Das hat mich sehr gefreut, das ich so etwas Gutes von meinem Jungen lesen konnte. Mache man so weiter mein lieber Junge, Mutti kann doch nicht mehr so. Wie sie gern möchte, aber das Spielen das klappt noch immer. Immer noch das Alte, den ganzen Tag rumhocken und nur nach Mutti kommen und rufen, Mutti ich habe Hunger. Und dann werden die Karos weggeputzt. Das ist man gut, das es schmeckt so lange was da ist.

Alos mache es gut, mein lieber Junge. Und grüße unser Gold (unsere liebe Mutti)

Es grüßt dein lieber Papa

Vorderseite der Feldpostkarte vom 5. Mai 1944 mit Feldpostnummer des Absenders und der Adresse in Braunschweig
Rückseite mit Text

Den 5/5.44.

Mein lieber Junge!

Wie geht es dir, und unserer lieben Mutti. Seid ihr noch alle gesund und munter. Und kommen die Flieger nicht mehr so oft, das ihr immer in den Bunker müßt. Und hilfst du Mutti auch immer schön bei der Arbeit. Und was machen unsere Muckchen. Sind dieselben noch alle gesund. Also mach es gut mein Junge. Und grüße Mutti recht schon von mir. Es grüßt dein lieber Papa

Den 28/5.44.

Lieber Hanni!

Wie geht es dir noch, alles gesund und munter[.] Was ich von mir auch berichten kann! Bist du auch artig, und ärgerst Mutti nicht. Das mache ja nicht, sonst raucht es wenn ich nach Hause komme. Und was machen die Kaninchen versorgst du dieselben auch ordentlich. Das was daran kommen tut. Damit wir was zu essen haben. Also mein Junge mache es gut, und grüße deine liebe Mutti, von mir herzlich und sei selbst vielmals von mir gegrüßt

Dein lieber Papa

7/6.44.

Lieber Hanni!

Habe deine liebe Karte vom 27/5. Erhalten, mit deinen schönen Pfingstgrüßen und spreche dir meinen besten Dank aus. Ich sehe immer wieder, das du an deinen Papa denken tusst. Und das ist das schönste für mich! Wenn man hier in den weiten Rußlands einen Gruß von seinen Lieben, erhalten tut. Bestelle man schöne Grüße an Mutti und ich hatte mich auch sehr über ihre Pfingstgrüße gefreut, wenn auch etwas spät gekommen sind.

Lieber Hanni, ich hatte dir noch ein kleines Päckchen geschickt, wo ein paar Bonbons drin waren. Und ein Paket Tobak was du Opa geben solltest zu seinem Geburtstag, hast du dasselbe erhalten oder nicht.

Schreib mir doch bitte, mal etwas näheres darüber.

Es grüßt dich, dein lieber Papa

Viele Grüße an Mutti

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Zeichnungen von Lucie Chapel (1914-1916)

Vor einiger Zeit habe ich auf einem Internetportal das Zeichenheft von Lucie Chapel erworben. Es trägt den Titel „Souvenir de la Grande Guerre 1914-191“. Auf dem Titelblatt hat sich die Zeichnerin mit ihrer Signatur „LC“ verewigt. 

Leider ist über die Zeichnerin nichts weiter bekannt. Sie stammt aus Frankreich, was eindeutig aus den Zeichnungen hervorgeht, und hatte einen Bruder, der Anfang 1916 anscheinend als Soldat im Krieg gekämpft hat, wie wir aus der letzten Zeichnung erfahren. In der Widmung auf eben diesem Blatt hat sich Lucie Chapel auch mit ihrem Namen verewigt. Diese letzte Zeichnung ist datiert auf den 10. Januar 1916.

Insgesamt umfasst das Zeichenheft ein Titelblatt sowie 22 Zeichnungen. Die restlichen Seiten sind leer.

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Kriegstagebuch Musketier Dinkeldein vom 2.-27. Juni 1915 (Landwehr-Infanterie-Regiment 29)

Musketier Dinkeldein ist nach den Informationen auf der ersten Seite seines Kriegstagebuches am 2. Juni 1915 zum zweiten Mal ins Feld gezogen, und zwar mit dem Landwehr-Infanterie-Regiment 29 an die Ostfront im heutigen Litauen. Über seine erste Zeit an der Front sind in dem Kriegstagebuch leider keinerlei Informationen enthalten.

Über seine Familie erfahren wir nur, dass seine Mutter ihm Pakete u.a. mit Zigarren schickte. Er erwähnt auch den Namen Luise, wobei unklar bleibt, in welcher Beziehung er zu ihr stand.

Bevor er zum LIR 29 gehörte, war er wohl dem Ersatz-Bataillon 160, 3. Kompanie in Bonn zugeteilt. Dies lässt sich aus seinem Namenseintrag mit Truppenteil am Ende des Kriegstagebuches schließen.

Sein zweiter Einsatz begann am 2. Juni 1915 mit einer mehrtägigen Fahrt von Bonn nach Wilkowischken (heute: Vilkaviškis, Litauen), wo er 6. Juni 1915 ankam. Hier übernachtete er in der örtlichen Synagoge auf dem Boden.

Vermutlich in dieser Synagoge übernachtete Musketier Dinkeldein am 6. Juni 1915. Sie wurde nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 zerstört.
Karte der Front gegen Russalnd vom 13. Juli bis Ende 1915 [Ausschnitt] (Aus: Der Weltkrieg. 8. Band). Südwestlich von Kowno war Musketier Dinkeldein in Mariampol eingesetzt.

Am 7. Juni 1915 marschierte seine Einheit dann an die Front nach Mariampol (heute: Marijampolė, Litauen), wo sie an der Front eingesetzt wurde. Bis zum letzten Eintrag des Kriegstagebuches am 27. Juni 1915 hat Musketier Dinkeldein dort seinen Dienst versehen. Von einem Orts- oder Stellungswechsel berichtet er nicht.

Auf der letzten Seite des Kriegstagebuches hat Musketier Dinkeldein einen Bericht über das Leben im Schützengraben begonnen, der am Ende der Seite mitten im Satz abbricht. Die weiteren Seiten des Kriegstagebuches sind verloren gegangen oder wurden aus uns unbekannten Gründen entfernt. Von diesen nicht mehr vorhandenen Seiten zeugen noch die perforierten Rest.

Tagebuch

Erste Seite des Kriegstagebuches. Links sind der Namenseintrag Musketier Dinkeldein Landw. Inf. Reg. 29 Bonn a/Rhein sowie weitere Notizen zu erkennen.

Am 2. Juni 1915 zog ich zum zweitenmal ins Feld, nachdem ich 8 Wochen in Bonn war beim Ersatzbataillon. Diesesmal gehts nach Rußland u. zwar zum Landwehrreg. No. 29.

Am 2.VI. vorm. 11 Uhr fuhren wir in Bonn ab. Köln Elberf. Barmen Magdeb. Berl. Posen. Am 4.VI. 1915 vorm. 9.20 Grenze bei Skalmierzyce. Die erste russische Station war Kalisch. Nachm. 3 Uhr haben wir Lodz passiert, sehr viel Industrie hier viel beschädigt ist hier nicht, außer einigen Fabriken[,] welche schwer mitgenommen sind. Weiterfahrt nach Koljuschki [heute: Krolestwo, Polen] 1 Std. Aufenthalt (Verpflegung[)]. Von hier aus gings wieder zurück nach Lodz u. dann nördlich Gnesen Thorn, sehr befestigt. Am 5.VI.15 nachm. 2.35 überfuhren wir die Weichsel bei Thorn. Nachts ½ 12 Uhr kamen wir nach Allenstein, wo wir verpflegt wurden. Weiterfahrt nach Königsberg, wo wir 6.VI. 1915 vorm. 9.15 ankamen u. gespeist wurden. Abends ½ 7 Uhr kamen wir am Ziele an in der russischen Stadt Wilkowischken [heute: Vilkaviškis, Litauen]. Hier schliefen wir auf dem Boden in der Synagoge. Das Lager war allerdings sehr hart, aber ich habe trotzdem gut geschlafen. Von den berühmten Läusen habe ich noch nichts verspürt. Die Leute sind sehr arm hier. Sie bieten den Soldaten alles mögliche an, lauter deutsche Ware, wie sie sich ausdrücken.

7.VI. morgens Empfang von Lebensmitteln. Nachm. 12 Uhr Abmarsch nach Mariampol [heute: Marijampolė, Litauen][,] wo wir abends 8 Uhr ankamen. In einem früheren Hotel haben wir geschlafen[,] aber sehr dabei gefroren.

8. morgens 3 Uhr Weitermarsch an die Front 3 km hinter d. Front Einteilung zum Bataillon u. dann zur 5. Komp. Nachm. 2 Uhr Ankunft bei der Reservestellung.

Bemerkenswert sind die vielen Entlausungsanstalten, welche in jedem Dorfe u. jeder Stadt zu sehen sind u. besonders die schlechten Straßen[,] man muß beim Gehen beständig auf den Boden sehen, sonst könnte man ganz zufälligerweise den Hals brechen.

Nach der Ankunft kochten wir uns Erbsen u. Konservenfleisch (schmeckt gut). Beginn des Baues unseres Unterstandes. Wir arbeiten fest drauf los bis 10 Uhr abends[,] wurden aber nicht ganz fertig. Diese Nacht schliefen wir in einer zerfallenen Scheune, haben aber sehr gefroren. Die Artillerie schoß die ganze Nacht [,] aber trotzdem habe ich geschlafen wie ein toter. Waschgelegenheit haben wir in einem kleinen schmutzigen Teich. Nur das Trinkwasser ist schlecht, unabgekocht ist es nicht genießbar.

9.VI. Ein schöner Sommermorgen ist angebrochen[,] feierliche Stille, nur von einzelnen Schüssen unterbrochen. Wir kochen uns Kaffee u frühstücken auf dem Rasen wie die Zigeuner. Es beginnt die Weiterarbeit am Unterstand, der um die Mittagszeit fertig wird. Um 12 Uhr Mittagessen[,] das wir von der Feldküche bekommen u. sehr gut ist. Überhaupt ist die Verpflegung tadellos, besser als in der Kaserne.

10.VI. Abends 8 Uhr Abmarsch in die vorgeschobene Stellung zum Schanzen. Ich meldete mich freiwillig auf Horchposten[,] während die andern schanzten. Auf dem Horchposten war es sehr gefährlich. Andauernd pfiffen mir die Kugeln um die Ohren. Aber Gott ließ es nicht zu, daß ich getroffen wurde. Gegen Morgen glückliche Rückkehr. Den übrigen Teil des Tages frei. Ich nahm ein Bad in dem nahen Teich (sehr angenehm). Abends 7 Uhr Abmarsch zum Schanzen in sehr gefährliche Stellung. Wir bekamen Feuer von feindl. Feldwache, kamen aber alle zurück in unsern Unterstand[,] welcher mit 20 Mann belegt ist.

11.VI. Morgens 9-11 Uhr Arbeiten am Laufgraben bis abends frei.

Nachts von 7-12 Uhr Schanzen, wobei wir wieder schwer befeuert wurden.

12.VI. Morgens 7-11 Uhr schanzen bis abends frei. Mittag wurden wir schwer beschossen von feindl. Artillerie, als wir es uns gerade auf dem Rasen gemütlich machten. Die Geschosse schlugen aber alle 150-200 [Meter?] hinter uns ein, trotzdem mußten wir uns in den Unterstand flüchten. Aber unsere Artillerie hat es ihnen auch heimbezahlt. Um ½ 8 Uhr wieder Abmarsch zum Schanzen[,] während unsre Artillerie  in allernächster Nähe ihre Salven abgeben. Die Nerven wurden schwer dabei mitgenommen, trotzdem man sich in Sicherheit weiß[,] wenn unsre Artillerie schießt, aber ein solcher Knall läßt einen unwillkürlich zusammen fahren.

13.VI. Ein windiger Sonntagmorgen ist angebrochen[.] Von 8-11 Uhr gings wieder zum Schanzen in Reservestellung. Ich meldete mich freiwillig auf Lauscherposten. Diese Nacht vergesse ich in meinem ganzen Leben nicht. Um 10 Uhr abends zogen wir auf. Es regnete u. ein kalter Wind wehte. Als wir an das Lauscherloch kamen[,] war dasselbe zugeschüttet. Nun krochen wir im heftigsten Kugelregen auf dem freien Gelände herum u. suchten uns eine Deckung. Endlich fanden wir eine solche in einem Graben, wo wir uns hineinsetzten. Wir waren unser 4 Mann. Anfangs waren wir ziemlich sicher[,] denn die Kugeln pfiffen über unsre Köpfe weg. Aber nach einer halben Stunde gings los. Rechts u. links schlugen die Kugeln ein von 3 Seiten bekamen wir Feuer. Die russischen Maschinengewehre knallerten, unsre Truppen warfen Bomben, welche die Erde erzittern machten. Die Scheinwerfer suchten das Gelände ab[,] Leuchtkugeln auf dazwischen der Knall der Kanonen, Bomben u. Gewehre. Es war ein schauerlich interessantes Schauspiel. Wir lagen zusammengekauert frierend in unserm Loch, denn es bot uns nur einigermaßen Deckung. Um halb 12 Uhr sollten wir abgelöst werden. Aber die Ablösung konnte nicht weiter vor wegen dem Feuer. Ein Gefreiter[,] welcher uns Bescheid bringen wollte, wurde an der Schulter ganz leicht verwundet. Dadurch konnte er nicht zu uns gelangen. Wir blieben im unserm Loch bis der Tag graute. Dann gingen wir zurück. Ich hatte so steife Glieder[,] daß ich zweimal hinfiel[,] doch kamen wir glücklich im Graben an, wo sich die andern uns wunderten, daß wir so gut davonkamen. Ich kann meinem Gott nicht genug danken für die glückliche Rettung. Es war eine schreckliche Nacht u. werde sie auch nie vergessen. So arg wurde noch nie geschossen seit meines Hierseins. Aber ich lebe noch u. danke meinem Gott dafür u. bitte Ihn, auch meine Mutter u. alle meine lieben Angehörigen zu beschützen.

14.VI. Wir schlafen von morgens 3 bis gegen 10 Uhr u. haben frei bis abends. Um ½ 8 Uhr Antreten zum Schanzen an gefährlicher Stelle. Um 11 Uhr rücken wir ab u. kamen glücklich zurück.

15.VI. Beim Antreten um 8 Uhr wurde ich bestimmt zum Balkentragen für einen Offiziersunterstand. Wir waren gerade an der Arbeit, als ein Bote kam und meldete, wir müßten uns sofort fertig machen zum Abrücken. Sofort gingen wir zum Unterstand u. nach schleunigstem Zusammenpacken unsrer Sachen rückten die versch. Komp. ab. Zur Sicherheit vor d. feindl. Artillerie wird gruppenweise marschiert. Weitermarsch halbrechts querfeldein. Nach einer Weile Halt vor einer kleinen Anhöhe. Die Gewehre werden zusammengesetzt, Gepäck abgelegt. Dann kam die liebe Feldküche u. brachte uns Erbsen mit Speck. Bald nach beendeter Mahlzeit rückten wir heimwärts. Die Russen schießen mit Schrappnels, jedoch ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. Gegen 3 Uhr kamen wir zurück in d. Unterstand. Der Zweck des Marsches soll gewesen sein, die zu erwartende Reserve eines Nachbarregiments zu ersetzen falls es nötig sein sollte. Offenbar war es unnötig gewesen. Abends 7 Uhr Antreten zum Abrücken in den Schützengraben, wo wir die Reserve bilden[,] falls die Russen einen Angriff machen sollten. Nach gemütlichem Schlaf im Unterstand rückten wir beim Morgengrauen wieder heim.

16.VI. Nach dem Aufstehen kochen wir uns Kakao. Abends ½ 8 Uhr Abrücken in den Reservegraben. Wir bekommen lebhaftes Flankenfeuer. Beim Tagwerden Rückkehr.

17.VI. Wir schlafen bis gegen 11 Uhr, Apell mit der eisernen Portion. Nach dem Mittagessen Befehl zum Packen[,] um in den Schützengraben zu rücken. Nach beschwerlichem Gang durch den langen Laufgraben erreichen wir das unsere angewiesenen Grabenstücke. Ich erhalte mit meinem Kameraden Karl Kriechbaum aus Rohrbach b/K. einen Unterstand, in dem man einigermaßen wohnen kann, er hat mehr das Aussehen einer Höhle. Abends von 11-1 Lauscherposten. Die Nacht vergeht mit der üblichen Schießerei.

18.VI.15 Morgens ½ 3 Uhr Kaffeekochen mit Frühstück. Dann Schlaf bis 10 Uhr[,] von 12-2 Uhr Posten. Kriechbaum fängt an einen Brunnen zu bohren. Die Nacht verging wie gewöhnlich.

19.VI. Nach dem Kaffeetrinken[,] de wir uns natürlich immer selbst kochen[,] Schlaf bis 11 Uhr. Nachm. habe ich Holz für unsern Brunnen auszuschalen u. zum Feuermachen in einem Gehöft[,] von 6-8 Uhr Postenstehen. Die Nacht ist dunkel, kalt u. regnerisch[,] geschehen wird wenig.

20.VI. 15 Nach dem Frühstück Schlaf bis ½ 8 Uhr. Posten von 8-10. Ich bin an der Reihe zum Essenholen. Es ist jedesmal eine beschwerlicher ¾ stündiger Gang[,] bis man an die Stelle kommt, wo die Feldküche anfährt. Bei dem Rückweg hänge ich die 4 Eßgeschirre auf den Rücken u. verschnüre meinen ganzen Rock, worüber sich die Kameraden höchst amüsierten. Nach dem Essen ausruhen. Ich denke mit Sehnsucht an die liebe Heimat u. an die lb. Angehörigen. Dabei schlafe ich ein. Gewaschen habe ich mich heute auch wieder mal seit 3 Tagen[,] denn unser Brunnen, der jetzt fertig ist, liefert mir soviel Wasser als man zum Kochen braucht. Beim Essenholen bot sich mir Gelegenheit zum Waschen. Denn bei der Feldküche ist ein schöner See. Vergl. das Leben im Schützengraben.

21.VI.15 Von gestern abend bis heute morgen durfte ich schlafen bis ½ 3 Uhr[,] denn ich habe Tagesposten 1 Nummer, dieselbe steht von ½ 3-6 Uhr u. darf deshalb schlafen. Es ist ein herrlicher Sommermorgen[,] die Vögel zwitschern so schön wir in der Heimat[,] ab u. zu fällt ein Schuß. Soeben fliegt ein feindl. Flieger über mir weg u. wird von unsrer Artillerie beschossen. In der darauf folgenden Nacht durfte ich wieder schlafen, weil ich freiwillig auf Lauscherposten ging von 9-11[,] Uhr da konnte ich dann schlafen bis zum nächsten Morgen 6 Uhr.

22.VI.15 Von 6-8 Uhr Posten. Während dieser Zeit koch ich mir Kaffee u. frühstücke. Darauf rauche ich eine Zigarre, die ich am Tage vorher von meiner lieben Muttererhielt u. die mir umso besser schmeckt, da sie doch von der lieben Heimat ist. Dann legte ich mich aufs Stroh u. schlief selig bis nachm. 2 Uhr. Ich flicke meine zer[r]issenen Kleider u. dann heißt es umziehen in die Stellung weiter links. Hier machte ich mich mit vollem Eifer daran unsern neuen Unterstand einigermaßen herzurichten, der sehr verwahrlost aussieht. In meiner Nähe explodiert eine Handgranate[,] durch die ein Kamerad getötet wurde.

23. Um 2 Uhr morgens Wasserholen auf gefährlichem Weg in einem nahen Gehöft, wo ich auch gleich Stroh für unsern Unterstand mitnahm. Dann Frühstück. Darauf erledige ich einige Korrespondenzen u. lege mich schlafen. Die Russen sind heute ziemlich brav, sie schießen nicht viel. Nachm. koche ich mir mit meinem Kameraden Kriechbaum einen guten Kakao, den ich von meiner Luise erhielt. Wir beide Kriechbaum u. ich[,] teilen überhaupt alles miteinander. Abends 9-½ 12 Uhr Lauscherposten. Die Russen sind besonders gut aufgelegt. Man hört sie in der Ferne singen u. ihre Musikkapelle spielen wirklich schöne Märsche.

24. Nicht besonders.

25. Die Russen schanzen u. werden von uns heftig beschossen. Im übrigen war alles ruhig. Abends Lauscherposten.

26. Ich habe die Nacht durch von ½ 12 Uhr ab gut geschlafen. Aber um 3 Uhr mußte ich schon wieder auf Posten. Nachm. 12 Uhr Essenholen. Den Nachm. vertreiben wir uns durch Kartenspielen.

27.VI. Der Tag verlief ohne besonderen Zwischenfall.


Das Leben im Schützengraben hat viel Schönes[,] aber auch manches Unschöne an sich. Seit 17.VI.15. bin ich nun im Graben. Jede Gruppe befindet sich in der Nähe ihres Führers. Die Unterstände sind für diese Jahreszeit ganz gut bewohnbar. Wir liegen zu zweien in einem solchen. Es gibt aber auch welche[,] in denen 3-6 Leute wohnen können. Unsre Tätigkeit ist die: Die [Rest fehlt]

Am Ende des Tagebuches finden sich mehrere Namenseinträge von Musketier Dinkeldein. In einem dieser Einträge wird als Regiment Ersatz Bataillon No. 160 Bonn a/Rh. angegeben. Auf der rechten Seite ist zu erkennen, dass zahlreiche Seite aus uns unbekannten Gründen entfernt wurden. Das Kriegstagebuch bricht mitten im Satz ab.
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Erinnerungen von Max Hecker an seinen Sohn Karl Hecker

Karl Hecker wurde am 8. Mai 1898 in Weimar geboren. Seine Eltern waren der Malermeister Max Hecker und Carolin Amalie geb. Greiner. Max Hecker meldete sich, wie dem Bericht seines Vaters mit dem Titel „Ein junger Held!“ zu entnehmen ist, als 17jähriger freiwillig zum Militärdienst. Er zog dann als Soldat beim 5. Thüringischen Infanterieregiment (Großherzog von Sachsen) Nr. 94 in den Krieg ein. Er starb am 13. Dezember 1917 an den Folgen zahlreicher Verwundungen, die er durch drei Granatsplitter erlitten hatte, im Lazarett in Iseghem (Belgien).

Ein junger Held!

Väter und Söhne Seite an Seite gemeinsam im feldgrauen Rock des Vaterlandes kämpfend sind keine Seltenheit in dem größten Kriege seit Menschengedenken. –

Darf ich Euch heute von einem jungen Helden erzählen, den sein Vater fand im Gewühle des Weltkrieges[,] um ihn auf ewig zu verlieren?

Als der Vater im October 1914 zum Landsturm einberufen nach Frankreich abreiste, ahnte ihm noch nicht, daß sein Sohn einem Herzenswunsche folgend, in einer Mil. Vorbereitungsanstalt Aufnahme gefunden hatte. Es war damals 16 ½ Jahr alt. Das Militairische steckte ja schon seit der frühesten Jugend in ihm und mit froher Begeisterung hatte er sich nach er Schulentlassung dem Jungdeutschlandbunde angeschlossen. Was Wunder, wenn in dem tapferen Jungen die schwache Flamme zum lodernden Feuer verzehrender Vaterlandsliebe wurde[,] als die ersten Siege auf den Schlachtfeldern geschlagen und in der Heimat verkündet wurden. Der Vater selbst hat jener Zeit, wo sein Sohn sich mit Plänen trug[,] die ihn seinem bisherigem Wirkungskreise entreißen sollten, nicht gerade mit Wohlwollen begegnet, doch glaubte auch er bis die Ausbildungszeit vorüber sei, ist der Friede ins Land zurückgekehrt.

Es sollte anders kommen.

Im März 1915 schrieb der Jüngling, daß die Auflösung der Mil. Vorbereitungsanstalt bevorstehe und da er nun bald 17 Jahre alt würde, bedürfe es der Erlaubnis des Vaters[,] um ins Feldheer eintreten zu können. Die abratenden Briefe des Vaters hatten nur den Erfolg, den Jungen in seinem Vorsatz immer mehr zu bestärken, er bat und flehte, bis der erstere schweren Herzen Ja und Amen sagte.

Der Jüngling kam nun ins Rekrutendepot eines Regiments[,] welches aus früheren Kriegen den Beinamen „Das Eiserne“ überkommen hatte. Hier erhielt er seine militärische Ausbildung nach allen Regeln der Kunst.

Als eine Gunst des Schicksals hat es der Vater betrachtet, als er, im August vom westlichen Kriegsschauplatz nach einem Ersatztruppenteil versetzt, seinen Sohn vor dem Ausmarsch nach Rußland noch einmal in der Heimat für wenige stunden sehen durfte. Mitte August zog der Sohn gegen Rußland ins Feld, doch schon gegen Ende September folgte auch der Vater nach, um bei einem anderen Regiment an der gleichen Front Kriegsdienste zu tun. Vier lange, schwere Monate langer Erwartung gingen ins Land, ehe durch Vermittelung der Feldpost die Verbindung zwischen Vater und Sohn wieder hergestellt war und die rückliegende Zeit ihren Schleier hob, um die Erlebnisse beider kundzugeben. Der Sohn hatte mit seinem Regiment den Sturm auf Grodno am 5. September 1915 mitgemacht und kam einige tage später als Leichtverwundeter in ein Feldlazarett in Bialystok. Als das Regiment im October nach dem westlichen Kriegsschauplatz übersiedelte, war er so weit hergestellt, daß er mitkonnte.

Der Vater hatte indessen mit dem Regiment[,] bei dem er sich befand[,] schwere Tage und Stunden an der Düna erlebt und befand sich jetzt Riga gegenüber in Stellung. Der Sohn schrieb aus den Stellungen bei Reims – Noyon – , bilder- und kartenreiche Briefe, welche einen guten Einblick in das Leben und Treiben dortselbst gestatteten. Den Winter 1915/16 verblieben sie in dieser Gegend, doch Ende März kam das Regiment in die Nähe von Verdun, wo sich der furchtbare Kampf zu einem Ringen ohne Gleichen auswächst. Alle die weltbekannten Namen: Höhe 304, Bärentatze, Toter Mann, Vaux und wie sie heißen mögen sind Ruhmesblätter für die Regimenter[,] welche dort kämpften. Und an allen diesen Kämpfen nachm der Sohn teil.

Im September kam das Regiment an die Somme. Doch zuvor sah der Sohn nach fast 12monatiger Abwesenheit die Heimat wieder und schickt dem inzwischen wegen Überalterung von der Front zurückberufenen Vater Nachricht nach der nahen Garnison.

Zwei kurze Tage nur ist es Beiden vergönnt, einander sich ins Auge zu sehen, den Vater ruft der Dienst, doch die Mutter ist überglücklich, daß sie ihren braven Jungen wenigstens 14 Tage wieder hat nach so langer schwerer Zeit. Doch auch für den Sohn heißt es wieder scheiden und während er zu seinem Regiment vor Verdun reist, ist auch der Vater wieder unterwegs nach dem Besetzten Gebiet Belgiens, zu einem an der holl. Grenze liegenden Batl. Der Sohn nimmt mit dem eisernen Regiment im Gebiet der Somme an den sich mehr und mehr steigernden Angriffs- und Abwehrmaßregeln teil. Der Chef des eis. Regiments, ein deutscher Bundesfürst, überreicht den aus der Schlacht kommenden Kämpfern die Verdienstmedaille mit Schwertern und der Vater ist stolz auf seinen Sohn, daß er sie nicht blos erhalten, sondern auch verdient hat.

Im Dezember 1916, als das Regiment von der Front zurückgezogen und Ruhequartiere für einige Wochen bezogen hatte, überraschte der Sohn den Vater freudig durch seinen Besuch an der holl. Grenze. Sie benutzten die Urlaubszeit zur Besichtigung der Hauptstadt Belgiens, Brüssel, welche das Sehenswerten genug bietet. Schnell genug verging die kurze Zeit des Zusammenseins, dann reist jeder wieder zurück zu seinem Truppenteil. Der lange und diesmal auch an der Westfront sich durch grimmige Kälte sehr fühlbar machende Winter ging verhältnismäßig ruhig und ohne größere Kampfhandlungen an den Fronten hin.

Dann kam das Frühjahr 1917 und der grandiose Rückzug von Cambray [Cambrai] trat in die Erscheinung. Der Sohn war im Januar zum Gefreiten befördert worden und bei der Sturmabteilung der Division hat er bei den Sicherungstruppen jenes Schauspiel ohne Gleichen mitgemacht. Äußerst interessant und spannend sind die Feldzugsbriefe über diesen Abschnitt des Krieges an den Vater, der inzwischen mit seinem Truppenteil in den Mittelpunkt Belgiens, die Provinz Brabant übergesiedelt ist zur Sicherung der strategisch wichtigen Bahnlinien. Hocherfreut teilt der Sohn mit, daß er bei der Rückzugssicherung, nachdem die Engländer unerwartet den Reservezug überfallen und gefangen hätten, mit seinen paar Leuten entschlossen das Masch. Gewehr unter dunklen schwierigsten Verhältnissen zurückgebracht und dafür das Eis. Kreuz II. Klasse erhalten habe. Dann sahen sich Vater und Sohn nochmals für wenige Tage in der Umgebung von Brüssel in einem mitten im herrlichen Buchenwalde belegenen Quartier. Darauf reist der Sohn das letzte Mal [in] die Heimat, die Geliebte Mutter und Geschwister zu sehen in Urlaub. In dieser Zeit fielen die Würfel im Schlachtenglück nicht günstig und als er wieder zum Regiment zurückkehrte, fand er dasselbe in der Neuformierung begriffen in die Nähe Antwerpens zurückgezogen, um dann später an der Scarpe wieder in Aktion zu treten.

Noch einmal, Anfang October ist es ihnen vergönnt einige Tage beisammen zu sein, dann nahmen sie Abschied von einander ohne dem Gedanken auch nur Raum zu geben, daß es ein Abschied für die Ewigkeit sein sollte.

Das Regiment kam wieder zwischen Ypern und dem Houtholster Walde in Stellung und hier ereilte ihn sein Schicksal. Hier will ich wörtlich den Bericht aus dem Briefe eines Kameraden wiedergeben:

„Da kam der 1. Dez.[,] der Tag[,] an dem wir uns das letzte Mal sehen sollten. Es war in Flandern und in Roulers lagen wir in Ruhe. Von hier aus rückte die Komp. noch Abends in Stellung. Karl war in Ordonnanz beim Komp.Führer. Ohne Verluste kam die Komp. vorn an, wo sie in vorderster Linie südlich Westroosebeeke [Westrozebeke] eingesetzt wurde. Am Morgen des 2. Dez. 300 setzte schlagartiges Trommelfeuer ein und gleich hinter den Feuerwellen kam der Engländer auf breiter Front und in starken Kolonnen.

In diese hinein feuerten unsre Masch.Gewehre mit mörderischer Wirkung. Den Engländern blieben jedoch Kräfte genug, um unsere Vorfeldlinien zurückzudrängen. Auch in Richtung K.T.K.[,] wo sich Karl befand, gingen die Engländern stark vor. Nachts davon bildete sich ein Engländernest. Der Angriff kam durch das Feuer unserer Gewehre zum Stehen, und am selben Tage noch wurde der Engländer restlos aus unsern Linien herausgeworfen. Im Laufe des Nachmittags kam dann die Meldung[,] daß Karl in der Nähe des K.T.K. von drei Granatsplittern schwer verwundet liege. Wir hatten bis dorthin Munition zu fahren, es wurde noch ein Uffz. Und drei Mann mitgenommen, welche Karl zurückbringen sollten. Sie kamen aber wieder zurück und berichteten, ihn nicht gefunden zu haben, da wird er wohl von der Sanitätskomp. aufgefunden und geborgen worden sein.

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Am 16. Dez. erhielt der Vater den Brief einer Krankenschwester, worin ihm dieselbe Namens seines Sohnes mitteilte, daß er mit Arm- und Körperverletzungen sowie leichtem Lungenschuß am 5. Dez. 1017 in das Feldlazarett 112 eingeliefert sei, sich den Umständen nach leidlich wohl befinde und um den Besuch des Vaters bittet.

Mit einem dankerfüllten Blick zum Himmel, daß nun endlich sein geliebter Sohn dem Schlachtgetümmel entrissen, giebt sich der Vater der Hoffnung hin, um die Weihnachtszeit seinen tapferen Jungen aufzusuchen.

Das das Schicksal hat es anders bestimmt, als er den Brief der Schwester erhielt[,] hatte sein Sohn, sein guter Kamerad schon seit drei Tagen die Augen für immer geschlossen und ein treues Herz aufgehört zu schlagen.

Da erschien auch ihm das Licht der Sonne verdunkelt und schwere Wolkenschatten zogen über seinen Weg.

Als dann durch den Kriegslärm der Welt die heilige Weihnachtszeit schritt, da stand er tiefbetrübt an einem Grabe im fernen Flandern, das die sterbliche Hülle seines geliebten Sohnes und Kameraden barg.

„So finden wir uns wieder mein treuer braver Sohn; du hast dein Herzblut für deine deutschen Brüder dahingegeben, wie so mancher Tapfere. Nun ruhe in Frieden in Gottes Erde, sie ist ja überall des Herrn!“ – –

Die tränenschweren Augen des Vaters gleiten über die nächste Umgebung, aus der im glitzernden Schnee ein Wald von Kreuzen herausgewachsen scheint.

Mehr denn 3000 gefallene Helden schlummern hier der Ewigkeit entgegen auf diesem erst vor wenigen Monaten angelegten Ehrenfriedhofe. Treue Menschen, welche ihr Herzblut hergaben für die Bestie Krieg. Und während der Vater sinnend der Tapferen gedenkt, die hier ihre letzte Ruhestätte fanden, bereitet nun etwas weiter oben das Begräbnis von 5 Minenwerfern vor. Die Komp. hat ihre gefallenen Kameraden aus der Stellung mitgebracht[,] um sie der Erde zu übergeben.

Wie feierlich geht solch ein mil. Begräbnis vor sich und doch wie tief bohrt sich der Schmerz[,] als die Musikkapelle das Trostlied: befiehl du deine Wege. – intoniert, der ganze Jammer über den unersetzlichen Verlust bricht mit elementarer Gewalt hervor. Es ist ja so unendlich schwer, etwas Liebes auf Erden hergeben zu müssen, doppelt schwer fühlt man das Weh um die liebe Weihnachtszeit.

Die Komp. hat ihre 5 Kameraden dem kühlen Schloß der Erde übergeben, der evangelische und der katholische Feldpropst haben in ihren zu Herzen gehenden Ansprachen hervorgehoben, daß die gefallenen Kameraden ihr Leben ließen für die Brüder. Sie haben ein Opfer gebracht für uns und sind ein Opfer geworden für die Blutschuld der ganzen Welt.

Und dann trafen die Klänge des ergreifenden Soldatenliedes das Ohr des Mannes: „Ich hatt´ eine Kameraden, einen bessern findst du nit“ –

Ja er hatte seine besten Kameraden verloren und nie mehr werden sie sich ins Auge schauen können.

Oben in den Lüften ziehen drei deutsche Flugzeuge ihre Bahn und die Ruhe und Sicherheit, mit der sie den Luftraum durchsegeln, giebt auch dem Vater wieder Mut, sich in der Gegenwart zu recht zu finden.

Ein Kamerad war ihm behilflich, die letzte Liebesgabe an seinen Sohn, ein Kreuz, auf dem Grabe aufzustellen. Auf dasselbe hat er den Text mit wehmütiger Andacht geschrieben

„Hier ruht in Gottes Erde der

Gefreite Karl Hecker

  1. Masch. Gew. Komp.
  2. Thür. Inf. Regiment (Großherzog von Sachsen) Nr. 94

geb. 8. Mai 1898

zu Weimar

erlag seinen Wunden

am 13. Dez. 1917

zu Iseghem [Izegem] i Flandern.

und darunter:

Mein Sohn!

Du fielst in der Schlacht.

In der Jugend Reinheit und Pracht.

In Flandern brach dein treues Herz

Und ließ uns zurück in Leid u. Schmerz.

Zu früh´ starbst du.

Doch bleibt dein Gedächtnis

Für uns auf ewig ein heilig Vermächtnis!

– – – – – – – Und der junge Held[,] von dem ich Euch hier erzählt habe, das war mein Sohn. – – –

Max Hecker

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